FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
Seite gestellt wurden. Man nennt sie ›Plenipotenzier‹.«
»Das heißt, sie wollen vollständige politische Macht oder die Oberherrschaft haben.«
»Ja, das bedeutet ihr Name. Diese Leute sorgten nach der Belagerung auch dafür, dass vergangenes Jahr eine geänderte Ratsverfassung in Kraft trat. Wir haben jetzt nicht mehr 75, sondern nur noch 16 Ratsmitglieder, vier Bürgermeister und vier Kämmerer. Seitdem gehört auch mein Gatte zum Rat. Außerdem haben wir noch einen Bürgerausschuss von 50 Personen. Diese Leute möchten für den Protestantismus kämpfen und sind gegen den Ausgleich mit dem Kaiser. Sie sind völlig von Sinnen, wenn es um diese Frage geht. Da herrscht keine Vernunft mehr.«
»Da hat Ihr Mann jetzt aber einen schweren Stand.«
»Ja, das hat er«, nickte Martha Stetter, »besonders nachdem Christian Wilhelm von Gustav Adolf im August letzten Jahres zurückgekehrt ist und Stimmung gegen eine kaiserfreundliche Politik gemacht hat. Er wolle das Bistum Magdeburg mit Gottes und des schwedischen Königs Hilfe gegen alle Eindringlinge verteidigen. Seine vollmundigen Versprechungen wurden in jubelnden Versen auf Flugblättern in der ganzen Stadt verbreitet. Inzwischen hat der Administrator mithilfe des Pöbels den Rat gezwungen, mit den Schweden ein Bündnis einzugehen.«
Sie seufzte.
»Nun ist Magdeburg der einzige bewaffnete Bündnispartner des Schwedenkönigs. Gustav Adolf hat versprochen, schon bald nach Magdeburg zu kommen, um uns gegen Tilly und Pappenheim zu helfen. Er werde die Stadt nicht im Stich lassen, ›solange er ein König in Ehren sei‹. Aber bis jetzt ist nur Oberst Dietrich von Falkenberg, als Schiffer getarnt, mit Beglaubigungsschreiben des Schwedenkönigs gekommen. Man hat ihn letztes Jahr zum Festungskommandanten ernannt. Falkenberg hat Söldner angeworben und die Verteidigung der Stadt organisiert, aber mein Gatte sieht schwarz für Magdeburg, sollte Tilly tatsächlich kommen. Gegen Pappenheims Kürassiere konnten wir uns bisher noch zur Wehr setzen, aber gegen Tillys Übermacht hätten wir keine Chance.«
»Aber mussten die beiden nicht schon letztes Jahr unverrichteter Dinge wieder abziehen?«, fragte Benno.
Martha Stetter zuckte ihre Schultern: »Vielleicht hatten sie andere Pläne. Aber nachdem die Magdeburger den Volkshelden Chiesa ermordet haben, werden Tilly und Pappenheim mit ihren Söldnertruppen Rache üben wollen.«
»Hoffen wir, dass es nicht so weit kommt.«
»Und beten wir dafür.«
»Ja, das sollten wir tun. Aber eins muss ich Ihnen noch sagen, Frau Stetter! Ich bewundere Ihr politisches Wissen«, nickte Benno anerkennend. »Andere Frauen kümmern sich nur wenig um solche Fragen.«
Martha Stetter lächelte ein wenig.
»Mein Gatte sagt immer: ›Frauen leiden meist unter der Politik, die Männer machen. Deshalb sollten sie sich einmischen.‹«
»Ihr Gatte ist ein kluger Kopf.«
»Ja, das ist er. – Wie steht es denn mit dem Mittagessen, Herr Greve?«
»Vielen Dank, aber augenblicklich habe ich noch keinen Hunger. Später vielleicht.«
»Na, dann werde ich Sie wieder in Ruhe lassen. Sicherlich raucht Ihnen schon der Kopf wegen all dieser politischen Fragen. Versuchen Sie doch noch ein wenig zu schlafen, damit Sie wieder schnell auf die Beine kommen. Und wenn Sie Durst haben: Auf dem Tisch steht eine Karaffe mit Apfelsaft. Ist noch von der letzten Ernte.«
Sie lächelte ihm zu und verließ den Raum.
In Bennos Kopf schwirrten viele Fragen und Gedanken, während er auf dem Sofa lag und nachdachte. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, nach Magdeburg zu kommen. Lübeck, Bremen oder Hamburg hätten ihn ja auch gereizt.
Doch wenn er in eine der anderen Hansestädte gezogen wäre, hätte er nicht solch charmante junge Frauen wie Anneliese und Rosa kennengelernt. Und vielleicht kam Tilly ja doch nicht, und alles beruhigte sich wieder.
Über diesem Gedanken schlief er ein und erwachte erst am frühen Abend wieder.
5.
Domprediger Dr. Reinhard Bake predigte wie schon lange nicht mehr. Man spürte seinen Zorn über die Gewalt und Unmoral in der Stadt, die nun ihren Höhepunkt in der Ermordung von Kaufmann Emmerich gefunden hatte.
»Was waren das für gottlose Teufel, die ihn gefoltert und ermordet haben?!«, wetterte er von der Kanzel. »Und wer sind diejenigen, die davon wissen und die Übeltäter decken? Mögen sie keine Ruhe finden vor der Stimme ihres Gewissens. Mögen sie Tag und Nacht davon gepeinigt werden. Mögen tausend Teufel ihre Seelen
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