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FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter

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Titel: FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Wittwer
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quälen, bis sie bereuen und gestehen!«
    Seine Augen funkelten vor Zorn, während er weiterpredigte.
    »Und ihr, die ihr euch schuldlos fühlt, seid ihr etwa besser denn diese Mordbuben? Hat nicht der Herr selbst gesagt, dass der ein Totschläger ist, der seinen Bruder ›Hohlkopf‹ nennt oder ihm zürnt? Haben nicht Geiz und Geldgier euren Blick verblendet? Dient ihr nicht dem Mammon mit Herz und Seele? Ist nicht ganz Magdeburg ein Sumpf von Unmoral und Verbrechen? Glaube, Liebe, Hoffnung – wo sind sie noch in dieser lasterhaften Stadt?«
    Wie Peitschenhiebe hallten seine Worte durch den Dom. Die Menschen duckten sich mit schuldbewussten Gesichtern in den Kirchenbänken, denn Reinhard Bakes Predigt ließ keinen ungeschoren. Er geißelte die Sünden und die Unmoral von Reich und Arm, von Mann und Frau, von Jung und Alt.
    »Gottes Zorn schwebt über der Stadt! In den Gassen und Häusern nur Unzucht, Geiz, Völlerei, Saufen und Fressen, genau wie Doktor Martinus Luther es vorausgesagt hat. Und nun diese Untat, dieser infame Mord an einem geachteten und frommen Bürger der Stadt. Gott kann ihn nicht ungerächt lassen! Er wird Gericht halten. Er wird die Tenne mit eisernem Besen fegen und die Spreu in den Feuerofen werfen! Da wird dann sein Heulen und Zähneklappern, wie es der Herr selbst sagt.«
    Auch Rosa packten die Worte des Dompredigers. Sie saß im hinteren Drittel des Kirchenschiffs am Ende einer Bank, direkt neben einer der mächtigen Säulen, die das hohe Gewölbe stützten. Hier, auf dem Laiengestühl, hatte das gewöhnliche Volk seinen Platz, die Armen, Ehrlosen und Unbedeutenden. Vorne dagegen saßen in Kanzelnähe die Ratsherren mit ihren Frauen und Kindern, darunter auch die Witwe Berta Emmerich, dahinter – auf den vermieteten Plätzen – die Gilden, Ämter und Zünfte.
    Der Dom war brechend voll. Sogar in den Seitenschiffen drängten sich Neugierige entlang der Wände. Viele waren gekommen, um sich diese Ansprache nicht entgehen zu lassen. Vielleicht erfuhr man ja mehr über den mysteriösen Mordfall.
    Man hatte Klaus Emmerich so schnell wie möglich beerdigt, weil der Verwesungsgestank unerträglich gewesen war. Sogar der Richter hatte auf die Leichenschau verzichtet, und der Bestatter wollte den aufgedunsenen Toten weder waschen – er habe ja schon lange genug im Wasser gelegen – noch ankleiden, zumal es in der ganzen Stadt kein so großes Kleidungsstück gab, das gepasst hätte.
    Der Tischler hatte in aller Eile eine große Kiste zusammengezimmert, weil der Körper des Toten im Wasser so sehr aufgequollen war, dass er in keinen normalen Sarg passte. Noch am selben Tag wurde Kaufmann Emmerich vom Domprediger nur im Beisein der, von Trauer und Entsetzen gezeichneten, Witwe beigesetzt.
    Heute Abend nun, zwei Tage später, hielt Dr. Reinhard Bake einen Trauergottesdienst für den Ermordeten. Doch er sprach nicht so sehr von Mitgefühl, Anteilnahme oder von der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten am Jüngsten Tag. Nein, er hielt eine Gerichtspredigt, die den Dombesuchern durch Mark und Bein ging.
    »Der Herr Jesus hat über die Stadt Jerusalem geweint«, donnerte seine Stimme von der Kanzel, »als er die Hartherzigkeit ihrer Einwohner sah und ihren Untergang prophezeite. Heute, heute weint er über Magdeburg, denn er sieht die Ruchlosigkeit seiner Einwohner. Zittern und beten wir, dass es uns und unseren Kindern nicht so ergeht wie jenen in Jerusalem! Nicht mehr lange, und die Heere Roms werden auch vor unseren Toren stehen! – Gebe Gott, dass sie unsere Mauern nicht erstürmen. Doch wenn wir uns nicht bußfertig vor ihm beugen und unsere Sünden bereuen, werden Tod und Teufel über uns herfallen.«
    Eine Frauenstimme gellte durch das Kirchenschiff, hell und schrill. Alle drehten neugierig die Hälse und glotzten nach hinten. Eine hagere Mittvierzigerin wies mit bleichem Gesicht zur rechten Seite des Gewölbes. Alle Augen folgten ihrer Hand.
    Ein Schrecken durchfuhr die Anwesenden. Ein überlebensgroßer Schatten geisterte dort über das Deckengewölbe, löste sich auf, erschien wieder und verschwand endlich. – Gebannt starrten die Besucher des Doms nach oben.
    »Das, das ist der Emmerich!«, rief jemand mit überschnappender Stimme. »Der will sich an uns rächen!«
    Die Menschen im hinteren Bereich des Doms duckten sich tiefer in die Kirchenbänke. Am liebsten wären sie aufgesprungen und hinausgelaufen. Nur die Angst vor den anwesenden Geistlichen hielt sie zurück.
    Die verbleibenden

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