FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
getroffen?«
Carl-Ulrich Stetter und seine Frau tauschten sich vielsagende Blicke aus, doch Benno Greve bemerkte nicht die kleinen Anzeichen von Eifersucht bei der jungen Frau, die ihm gegenübersaß.
»Am Fluss. Sie entdeckte die Leiche, als sie Frieses Jungen das Leben gerettet hat.«
»Ach, Sie meinen Rosa Münkoff, des Lohgerbers Tochter«, warf Martha Stetter ein. »Die ganze Stadt spricht über ihre Heldentat.«
»Rosa? Ja, richtig. Sie sagte, ihr Vater sei Gerber. Das muss sie sein. Ich möchte sie noch einmal vernehmen. Deshalb habe ich ihr gesagt, dass ich sie aufsuchen werde. Sicherlich wartet sie schon ungeduldig.«
»Sicherlich«, sagte Anneliese, und ihr Gesicht verriet mit keiner Regung, was sie dachte.
6.
Schon gleich nach dem Frühstück machte er sich auf den Weg, auch wenn er noch ein wenig wackelig auf den Beinen war und sein Rücken schmerzte. Als er das Haus verließ, blickte er sich gründlich um. Schließlich wollte er wissen, wo genau und wie eine der schönsten und bezauberndsten Frauen der Stadt Magdeburg wohnte.
Die Bürgerhäuser am Dom sahen einander sehr ähnlich, da sie die gleichen Grundrisse aufwiesen. Sie grenzten mit der Fassade direkt an den Straßenrand und waren lückenlos aneinandergebaut oder nur mit sehr schmalen Abständen. Im Erdgeschoss befanden sich die Gewerberäume, im Obergeschoss die Wohnräume, und das Dach diente gewöhnlich als Lagerraum.
Durch das Haus der Stetters führte, weil das Grundstück nur von einer Seite her erschlossen war, eine Durchfahrt in den Hofraum hinter dem Haus, in dem sich Nebengebäude befanden. Dort lag auch die Druckerei, während Meister Stetter die Räume im Erdgeschoss des Haupthauses als Binderei und Lager für seine Druckerzeugnisse nutzte.
Nettes Viertel, dachte Benno zufrieden, alles ist sauber. Keine vermoderten Abfälle in den Straßen wie sonst in der Stadt. Hier kann man sich wohlfühlen.
Doch er musste sich eingestehen, dass erst die hübsche Tochter des Hauses die Umgebung so richtig attraktiv für ihn machte.
Carl-Ulrich Stetter hatte ihm den Weg beschrieben. Wenn er die Altstadt kurz hinter dem Dom verlassen und die Vorstadt Sudenburg betreten habe, solle er seiner Nase nachgehen, hatte er noch lachend hinzugefügt, denn der Geruch der Gerbereien sei unverkennbar.
Benno schlenderte durch die engen und verwinkelten Gassen in Richtung Elbe und bog dann nach Süden ab. Überall ratschten und tuschelten die Leute mit scheuen Seitenblicken über die Ereignisse im Dom. Es schien, als hätten sie Sorge, der Ermordete könne ihnen am helllichten Tag an die Gurgel fahren.
»Er wird keine Ruhe geben, bis er nicht seinen Mördern das lebendige Herz aus dem Leib gerissen hat«, sagte eine alte, verhutzelte Magd zu ihrer Nachbarin, während sie mit ihrem knochigen Zeigefinger vor deren Nase herumfuchtelte. »Glaub mir's, es wird wahr werden, was ich sag.«
Benno schlenderte kopfschüttelnd weiter. Nur weil die Dombesucher einen Schatten am Deckengewölbe gesehen hatten, stand ganz Magdeburg Kopf. Abergläubisches Volk! Sicherlich würde sich bald aufklären, was diesen Spuk verursacht hatte.
Durch sein Studium hatte sich Benno einen kritischen Geist erworben. Die Professoren hatten den Studenten nicht einfach nur juristisches Wissen eingetrichtert, sondern begonnen, sie zum kritischen Denken zu erziehen. Jahrhundertelang war das anders gewesen. Durch das ganze Mittelalter hindurch durfte man nur das denken und sagen, was Kirche und Staat vorgeschrieben hatten. Jeder, der darüber hinausging oder es anzweifelte, musste mit Kerker oder Scheiterhaufen rechnen.
Doch seit Martin Luther war es möglich geworden, Dinge infrage zu stellen, sei es in der Theologie oder in einer der anderen Wissenschaften. Natürlich, vieles durfte man nur hinter vorgehaltener Hand äußern, denn nicht jeder Fürst oder Stadtrat sah es gern, wenn man bisher fest Geglaubtes infrage stellte. Und die Kirchenführer und Theologen hatten nun begonnen, auch den evangelischen Glauben in strenge Lehrsätze zu zementieren.
Grund dafür war die Sorge, das Christentum werde wieder aus Deutschland verschwinden. So hatte es auch Martin Luther prophezeit. Eben deshalb wollte man den evangelischen Glauben festklopfen. Doch damit begann der Geist der Reformation wieder in Dogmen, unantastbaren Zeremonien und Kirchenregeln zu erstarren.
Benno seufzte. Schade, denn dieser Aufbruch vor hundert Jahren war die Chance gewesen, Staat und Gesellschaft grundlegend zu
Weitere Kostenlose Bücher