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FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter

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Titel: FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Wittwer
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mit der Familie des Druckermeisters wohnen. Rosa konnte sich das alles nicht erklären. Und wenn der Advokat doch nicht verreist war, warum hatte er sich nicht wie versprochen bei ihr gemeldet? War der Fall Emmerich etwa schon so gut wie geklärt? Brauchte man das unbedeutende Gerbermädchen nicht mehr, weil man die Mörder des Kaufmanns schon gefasst hatte?
    Während sie noch so grübelte, verschwand das Gesicht von Benno Greve wieder, und das Fenster wurde geschlossen. Rosa spürte, wie Enttäuschung ihre Stimmung in den Keller zog. Sie hatte sich so darauf gefreut, den jungen Mann wiederzusehen und mit ihm sprechen zu können. Doch er hatte sie offensichtlich schon vergessen.
    Nun, sie konnte ihm dies nicht zum Vorwurf machen. Wer war sie schon? Doch nur die Tochter eines unehrenhaften Lohgerbers. Wie konnte sie da hoffen, dass sich ein Studierter für sie interessierte?! Solche Leute blieben immer unter Ihresgleichen.
    Plötzlich schoss Rosa ein Gedanke durch den Kopf: Benno Greve wohnte bei den Stetters. War er etwa mit deren Tochter Anneliese liiert, dieser anmutigen und bildschönen Frau, deren Anblick so manchem Mann den Atem raubte? Sie wollte es sich nicht eingestehen: Doch warum sollte er sich sonst bei Stetters aufhalten?
    Alle Ängste und Fragen, die sie gerade noch im Dom aufgewühlt hatten, traten in den Hintergrund. Rosa fühlte, wie Traurigkeit ihr Herz beschlich und sich immer mehr darin ausbreitete. Was hatte sie gegen Stetters Anneliese schon zu bieten? Anneliese war nicht nur wunderschön, sie war klug und gebildet, und sie kam aus einer reichen Familie. Wen interessierte da schon ein Mädchen vom Stadtrand?!
    Als Rosa endlich in das schmale Haus an der Stadtmauer schlüpfte, war es schon weit nach Mitternacht. Ihr Vater schlief tief und fest. Sie konnte sein rasselndes Schnarchen aus dem Schlafzimmer im zweiten Stock hören. Müde und traurig, aber auch aufgewühlt von den Ereignissen im Dom, stieg sie in ihren Alkoven, ein Schrankbett, das auf halber Höhe der Treppe in der Wand eingebaut war. Lange konnte sie nicht einschlafen. Tausend Gedanken und Fragen wirbelten durch ihren Kopf. Würde sie jemals einen Mann finden, der sie so liebte, wie sie war?
    Schließlich fiel Rosa erschöpft in einen unruhigen Schlaf. Traumfetzen von Schattengestalten und bleichen Gesichtern in dunklen Gemäuern verbanden sich im Traum mit bittersüßen Gefühlen ihrer enttäuschten Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit und wühlten ihr Innerstes auf.
    Am Tag nach den dramatischen Ereignissen im Dom ging es Benno schon besser. Die pochenden Schmerzen in seinen Schläfen waren verschwunden, und auch die Beule am Hinterkopf begann sich zurückzubilden.
    Fröhlich pfeifend goss er sich Wasser aus einer Karaffe in eine Waschschüssel, rasierte und erfrischte sich. Kurz darauf rief ihn Carl-Ulrich Stetter zum Frühstück in die Wohnküche. Die Familie liebte es, dort ihre Mahlzeiten einzunehmen, weil alle es gemütlicher fanden. Nur wenn sie Gäste hatten, verlegten sie die Mahlzeiten ins Speisezimmer. Doch Benno Greve war für sie schon kein Fremder mehr. Mit seiner unkomplizierten, jungenhaften Art hatte er sich in den wenigen Tagen schon einen Platz in ihren Herzen erobert.
    Während sie einen mit Rübensaft gesüßten Haferbrei löffelten, sprachen sie über die abendlichen Vorfälle im Dom. Anneliese und ihre Mutter waren dort gewesen, während Meister Stetter noch den Bleisatz eines Buches korrigieren musste, das heute gedruckt werden sollte.
    »Das hätten Sie erleben müssen, Benno«, sagte Anneliese über den Tisch, während sie mit ihrem Löffel auf ihn wies, »erst diese aufrüttelnden Worte des Predigers, und dann dieser Tumult. Die Leute waren wie von Sinnen!«
    »Haben Sie denn auch diese Schattengestalt gesehen?«, fragte Benno sie.
    »Leider nein, es ging alles so schnell.«
    »Als wir uns umdrehten und nach oben schauten, war der Spuk schon vorbei«, erklärte auch Martha Stetter.
    »Was könnte das denn nur gewesen sein?«, grübelte Benno. »Dass es der Verstorbene war, glaube ich nicht.«
    »Mmh, und wenn doch?«, warf Anneliese ein.
    »Die Leute sehen meistens nur, was sie sehen möchten«, erwiderte Benno. »Ein flackerndes Licht wirft einen Schatten, jemand schreit, es sei der Emmerich, und schon glauben es alle und geraten in Panik.«
    »Ich denke, Sie haben recht«, pflichtete ihm Carl-Ulrich Stetter bei, »schließlich sagte schon Salomo im Buch der Prediger, dass Tote kein Anteil am

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