FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
sind unserem Herrn Gott eine Thorheit schuldig, es wird ein solch Blutvergießen werden, daß niemand wird wissen, wo er daheim sey.
»Sehen Sie Benno, das ist genau das, was gerade in unserem Land geschieht«, sagte Anneliese ziemlich erregt, »die Fürsten und geistlichen Herren verhalten sich wie Toren, wenn sie ihre Untertanen gegeneinander hetzen, ganze Landstriche verwüsten und ihre Ländereien von angeworbenen Söldnern ausplündern lassen. Tote und verarmte Untertanen können keine Steuern zahlen. Die Herren da oben schneiden sich mit ihrer Kriegswut ins eigene Fleisch. Unser Land wird Jahrzehnte brauchen, bis es sich von diesem Krieg erholt hat, und er ist noch lange nicht zu Ende, glauben Sie mir.«
Benno nickte.
Hören Sie, was Luther noch schreibt, Anneliese:
Dieweil es das Volk so arg machet, wird ein Fürst eine Thorheit thun, wird ein Unglück anrichten, darüber werden wir alle mit gehn müssen.
Und hier heißt es:
Also wird es, wie ich leider sorge, nach dieser Weissagung über Deutschland auch gehen, daß man sagen wird: da liegt das liebe Deutschland zerstöret und verheeret; um unserer Undankbarkeit, und der Bischöffe, Pfaffen, Tyrannen Wütens und Tobens willen.
Ihre Blicke begegneten sich, und Benno nickte ihr zu.
»Es ist tatsächlich so, wie Luther es schreibt. Ich hätte nicht gedacht, dass er tatsächlich ein Prophet ist, auch wenn er keine Visionen hatte. Aber solche Fragen müssen die Theologen klären, nicht wir Juristen.«
Er grinste breit. Doch dann wurde er wieder nachdenklich.
»Ich frage mich nur, warum haben die protestantischen Fürsten nicht auf ihn gehört. Er hat es doch vorausgesagt. Dieser Krieg hätte nicht kommen müssen. Dieses Elend und Leid, die Toten, Verstümmelten, die verbrannten Dörfer und Felder, all das müsste nicht sein. Warum also haben die Fürsten nicht das Steuer herumgerissen?«
»Das habe ich mich eben auch gefragt«, antwortete ihm Anneliese. »Nun ja, die katholischen Fürsten haben nicht geglaubt, dass seine Weissagungen echt sind. Die hatten also keinen Grund, den Krieg nicht vom Zaun zu brechen.«
»Ja, aber gerade damit geben sie Martin Luthers Voraussagen recht und bestätigen ihn als richtigen Propheten!«, warf Benno ein.
Anneliese schaute ihn verblüfft an.
»Ja, genau. Hätten sich die katholischen Herren sofort mit den Protestanten an einen Tisch gesetzt, Kompromissen zugestimmt und Frieden geschlossen, wäre Luthers Prophezeiung nicht eingetroffen. So aber zeigen sie mit ihrem Verhalten, dass er ein wahrer Prophet gewesen sein muss. Ob ihnen das klar ist?«
Benno schüttelte den Kopf: »Das glaube ich nicht. Sie leben noch in dem Wahn, sie könnten die Lutherischen mitsamt ihrem Glauben von der Gnade Gottes wie Kehricht von der Erde fegen. Aber da haben sie sich gewaltig geschnitten! Das Evangelium wird siegen. Das steht schon in der Bibel: Die gute Nachricht vom Reich Gottes wird in der ganzen Welt zum Zeugnis über alle Völker verkündigt werden. Und das wird kein Kaiser oder Papst aufhalten können.«
Anneliese nickte: »Ja, das hat Jesus Christus selbst gesagt. Aber zuvor wird es Kriege, Hungersnöte und Pestilenzen geben.«
Sie seufzte.
»Warum können Menschen nicht friedlich zusammenleben? Warum versuchen sie andere zu unterdrücken, auszulöschen oder zu quälen, nur weil diese eine andere Meinung vertreten?«
»Weil es um Macht geht, um Geld und Einfluss, um eigene Vorteile, denke ich.«
Benno dachte nach, dann fuhr er fort: »Und weil die Idealisten unter ihnen glauben, dass sie die absolute Wahrheit besitzen und die anderen unrecht haben. Weil sie glauben, dass Gott sie dazu berufen hat, diese Wahrheit mit Feuer und Schwert zu verteidigen und durchzusetzen. Und weil die Mächtigen diese blinden Wahrheitsfanatiker benutzen, um ihre Ziele durchzusetzen. Und weil diese wiederum die Gedanken der Mächtigen vernebeln und deren charakterliche Schwächen ausnutzen, um recht zu behalten.«
»Und weil sie sich beide nicht vom Geist der Liebe leiten lassen, sondern vom Bösen beherrscht werden«, ergänzte Anneliese.
Ihre Blicke begegneten sich wieder, und sie spürten beide, wie nahe sie sich in ihren Gedanken waren.
»Mann, was Luther da gesagt hat! Wenn wir doch nur auf ihn gehört hätten …«
Benno brach ab, und Anneliese spürte, dass seine Gedanken trotzdem nicht mehr so sehr um die schrecklichen Prophezeiungen des Reformators kreisten.
Er blickte zu Anneliese hinüber. Nicht nur ihre ebenmäßigen
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