FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
die Wohnstube betrat. »Männergeschichten etwa?«
»Unsere Tochter ist jetzt genau im richtigen Alter, um zu heiraten, meinst du nicht auch Carl-Ulrich?«
Martha Stetter schaute ihren Mann erwartungsvoll an.
»Mag sein, mein Liebes, aber zum Heiraten braucht man zwei.«
»Und was hältst du von unserem jungen Advokaten?«
»Benno Greve? Hat der etwa schon um die Hand unserer Tochter angehalten? Das ging aber schnell. Unsere Tochter hat ihn also tatsächlich voll von den Füßen gehauen.«
»Papa«, unterbrach ihn Anneliese, »wo denkst du hin?! Zwischen uns ist nichts.«
»Auch nicht ein bisschen Sympathie?«
»Ich mag ihn schon«, gab Anneliese zu, »doch ob er auch etwas für mich empfindet, weiß ich nicht.«
»Und warum schaut er dich immer so aufmerksam an?«, fragte ihre Mutter sie.
»Vielleicht studiert er ja die Leute?! Als Jurist braucht man Menschenkenntnis.«
»Studieren nennst du das?«, lachte Meister Stetter. »Er klebt regelrecht an deinem Gesicht, kann sich gar nicht von dir abwenden, ist fasziniert von dir! Glaub mir, Töchterchen.«
Anneliese errötete. Sie hatte es selbst bemerkt, dass Benno Greve sie mehr anschaute, als es sich schickte. Aber das wollte sie nicht vor ihren Eltern zugeben.
»Du wolltest mir doch ein Buch über Martin Luthers Prophezeiungen geben«, versuchte sie vom Thema abzulenken. Und tatsächlich ging ihr Vater darauf ein.
»Richtig, komm, ich zeige dir, wo es steht.«
Carl-Ulrich Stetter verließ die Wohnstube, und Anneliese folgte ihm, nicht ohne ihrer Mutter noch einen triumphierenden Blick zuzuwerfen. Die hob nur hilflos die Hände.
Nach kurzem Suchen zog ihr Vater einen dicken, in Schweinsleder gebundenen, Folianten aus dem Regal und legte ihn auf den Tisch.
Rosa öffnete die Messingverschlüsse und schlug die erste Seite auf.
»›Johannes Lapäus‹«, las sie halblaut, »›Wahrhaftige Prophezeiungen des theuren Propheten und heiligen Mann Gottes, D. Martini Lutheri seliger Gedächtnis, Ursel 1578.‹«
»Und hier habe ich eine Zusammenstellung weiterer Bücher über Luthers Weissagungen«, sagte ihr Vater und legte einen nicht so umfangreichen Folianten auf den Tisch. »Es sind kleinere Schriften von verschiedenen Herausgebern.«
Er schlug das Buch auf und las: »›Antonios Otho Hertzberger, etliche Propheceysprüche D. Martini Lutheri, des dritten Elia, Nordhausen 1552.‹ Oder hier: ›Johannes Amsterdamus, etliche warhafftige Weissagung und fürnehme Sprüche des ehrwürdigen Vaters, Herrn Doktor Martini Luthers, Magdeburg 1552.‹ – Ist leider nicht in unserem Haus gedruckt worden«, fügte er mit einem Bedauern in der Stimme hinzu. »Im Ganzen habe ich 42 Bücher über Luthers Prophezeiungen gezählt. Die meisten findet man in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Sie ist die größte Bibliothek nördlich der Alpen. Deshalb bezeichnet man sie auch als achtes Weltwunder.«
»Ich würde gerne einmal nach Wolfenbüttel fahren. Bücher faszinieren mich einfach.«
»Wenn der Krieg vorbei ist, werden wir das bestimmt nachholen. – So, ich muss jetzt wieder in die Druckerei. Viel Spaß beim Studieren, mein Liebes.«
Carl-Ulrich Stetter strich ihr noch einmal über das lockige Haar und verließ dann den Raum. Anneliese blickte ihm kurz nach und wandte sich wieder dem ersten Folianten zu.
Je länger sie las, desto mehr packte sie der Stoff.
Aber weil ich der Deutschen Prophet bin (denn solchen hoffärtigen Namen muß ich mir hinfurt selbst zumessen, meinen Papisten und Eseln zur Lust und Gefallen), so will mir gleichwohl, als einem treuen Lehrer, gebühren, meine lieben Deutschen zu warnen für ihrem Schaden und Fahr.
Der Reformator bezeichnete sich immer wieder als Prophet, dessen Weissagungen eintreffen würden, und da er meistens Gerichtsbotschaften zu verkündigen hatte, sagte er schließlich folgende deutliche Worte:
Ich weissage nicht gern, will auch nicht weissagen, denn was ich weissage, sonderlich das Böse, kommt gemeiniglich mehr, denn mir lieb ist; daß ich auch mit St. Micho (Cap. 2) mir oft wünsche, ein Lügner und falscher Prophet seyn zu müssen; denn weil ich Gottes Wort rede, so muß es geschehen.
Anneliese konnte das verstehen. Wer dem Volk Gutes prophezeit, Wohlstand, Sicherheit und Frieden, der ist beliebt. Wer aber auf Bosheit, Sünde und Unmoral hinweist, den will das Volk nicht hören. Doch weil Luther der gefeierte Reformator war, akzeptierten anscheinend die meisten seiner Freunde auch seinen
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