FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
Herr. Lohwälder sind Kastanien-, Fichten- und Eichenwälder, aus denen wir Lohgerber unser Material beziehen.«
Er räusperte sich.
»Die Gerberlohe besteht bei mir hauptsächlich aus Kastanien- und Eichenholz, deren Rinde und Eicheln. Daraus wird in den Gruben eine Brühe angesetzt. Zuerst werden die Häute in einer schwachen Brühe angegerbt und kommen schließlich in Gruben mit einer konzentrierten Brühe.«
»Und wie lange dauert das?«
»Bis zu zwölf Monate.«
Benno pfiff durch die Zähne.
»Zwölf Monate! Eine lange Zeit. Das hätte ich nicht gedacht. Und dann ist die Haut zu Leder geworden?«
»Nein!«, lachte Rosa. »So einfach ist das nicht.«
»Richtig«, stimmte ihr Vater zu, »jetzt muss das Leder entwässert werden. Wir nennen das ›Abwelken‹. Dann wird es nachgegerbt, gefärbt und gefettet, sodass es nicht nur gut aussieht, sondern auch weich und geschmeidig ist.«
»Aber dann ist es endlich fertig?« Benno wirkte schon ein wenig ungeduldig.
»Nein, denn das Leder muss nun ausgereckt, geglättet und getrocknet werden. Es darf aber nicht zu trocken sein, sonst verliert es seine Geschmeidigkeit. Danach«, Hans Münkoff hob seine Hand, damit Benno keine neue Frage stellte, »danach wird die Oberfläche behandelt. Man kann sie z.B. schleifen, um ein Rauleder zu erhalten oder sie auch glanzstoßen. Dabei zieht man einen Glaszylinder mit hohem Druck über das Leder. Dadurch erhält man sehr glänzende Oberflächen, die aber die natürliche Struktur des Leders gut erkennen lassen. Soll das Leder weniger stark geglättet sein, polieren wir es mit Stein- oder Tuchwalzen.«
»Mann, das ist ja eine Wissenschaft für sich!«, rief Benno aus. »Meister Münkoff, ich habe volle Hochachtung vor Ihnen und Ihrer Zunft. Dagegen sind die Pfeffersäcke …«, er warf Rosa einen Blick zu und lächelte, »… die über Sie die Nase rümpfen, nur aufgeblasene Laffen. Die können nichts anderes, als ihre Dukaten und Taler zählen. Dagegen ist das, was Sie Tag für Tag tun, wirklich harte, ehrliche Arbeit!«
Hans Münkoff schien erfreut zu sein, dass der junge Advokat seine Zunft so schätzte, denn sein sonst ausdrucksloses Gesicht hellte sich ein wenig auf.
»So, nun muss ich wieder an die Arbeit«, verabschiedete er sich, drehte sich um und stapfte zu den Gestellen, in denen Lederlappen zum Trocknen eingespannt waren. Dort bückte er sich, um die Qualität des Materials zu prüfen.
»So viel hat mein Vater schon lange nicht mehr erzählt«, sagte Rosa erstaunt. »Bringt Ihr Advokaten so auch Eure Mandanten oder die Angeklagten zum Reden?«
»Nein«, wehrte Benno ab, »das war jetzt kein rhetorischer Kniff, um einen verschwiegenen Menschen zu öffnen. Es hat mich wirklich interessiert, was er da macht.«
»Ach ja?«
Benno schaute sie mit hochgezogener Augenbraue an, dann sagte er: »Mich interessiert auch, wo Sie leben und wer Ihr Vater ist.« Wer sich für die Tochter interessierte, musste schließlich auch ihren Vater kennenlernen. Er räusperte sich. »Um als Advokat Menschen verstehen zu können, ihre Motive zu erfahren, Hintergründe zu entdecken, muss man wissen, womit sie sich beschäftigen, was ihr Leben Tag für Tag ausfüllt. Das hilft einem vor Gericht mehr als der ganze Paragrafenkram.«
Die Antwort schien Rosa zufriedenzustellen. Ein stilles Lächeln umspielte ihre Lippen.
»Treffen wir uns morgen wieder?«, fragte Benno hoffnungsvoll. »Ich möchte Emmerichs Frau besuchen, und es wäre gut, wenn Sie mit dabei wären.«
Sie nickte, und ihre himmelblauen Augen funkelten.
Am Abend saß Rosa wieder am Fenster und sang ihr Lied. Doch alle Melancholie war verflogen und der Wind trug die Melodie über die verwinkelten Dächer des Gerberviertels.
7.
»Er ist ein attraktiver junger Mann, nicht wahr?«
Martha Stetter war ins Zimmer getreten und schaute ihre Tochter prüfend an.
»Ja«, antwortete Anneliese einsilbig.
»Du magst ihn also«, bohrte ihre Mutter weiter, »er sieht ja auch gut aus, ist klug und gebildet und kommt aus gutem Haus.«
»Mama, willst du mich etwa mit Benno Greve verkuppeln oder einfach nur aushorchen? Damit du aber keine falschen Schlüsse ziehst: Wir verstehen uns gut, doch mehr ist da nicht.«
Leider!, dachte Anneliese. Leider ist da noch nicht mehr. Wir kennen uns ja erst drei Tage.
Auch ihre Mutter blickte ein wenig enttäuscht.
»Ihr beide würdet gut zusammenpassen, wenn du mich fragst.«
»Na, worüber sprecht ihr?«, fragte Carl-Ulrich Stetter, der gerade
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