FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
Flammen empor. Sie wurde also ebenso aufgegeben und niedergebrannt.
Drüben am anderen Ufer erscholl Kriegsgeschrei. Die Kaiserlichen hatten bemerkt, dass die Magdeburger abgezogen waren. Über Sturmleitern erstiegen sie die Mauern der Zollschanze. Der Banner der Pappenheimer wurde unter Jubel aufgezogen. Offensichtlich begannen die Söldner danach mit Löscharbeiten, denn die Flammen wurden kleiner und schienen bald darauf erstickt zu sein.
Ein leichter Sieg für den Feind!, dachte Rosa. Hoffentlich kann wenigstens die Stadt gehalten werden!
Die Möglichkeit einer Flucht mit dem versteckten Fischerkahn und ein Leben in der neuen Welt erschien ihr auf einmal fern und unwirklich. Hier war doch ihre Heimat, hier war sie geboren! Hier lebten die Menschen, die sie kannte und liebte. Was sollte sie in einem fernen und noch unzivilisierten Land unter fremden Menschen?!
Sie seufzte und stieg die Mauer wieder herab.
Doch wenn Benno und ihr Vater mit ihr gingen, würde es nicht so schwer sein, auf der anderen Seite des großen Meeres eine neue Heimat zu finden!
Dieser Gedanke tröstete sie wieder. Die Liebe des jungen Mannes half ihr, in aller Not und Wirrnis dennoch das Gute des Lebens zu sehen.
Rosa lief durch die Straßen von Sudenburg zur Altstadt. Sie konnte nicht anders, sie wollte noch einmal in den Dom, wo Benno sie geküsst hatte.
Kurz nachdem sie das Stadttor passiert hatte, lief sie Bernhard von Absberg über den Weg. Ohne eine Miene zu verziehen, blickte sie der Mann aus seinen Augenwinkeln an und ging weiter, als interessiere er sich nicht für sie. Doch Rosa spürte, dass dies nur eine Maske war. Der Mann hatte offensichtlich gelernt, seine Gefühle zu beherrschen. Der Blick und sein ausdrucksloses Gesicht passten trotzdem nicht zusammen. Benno und Anneliese hatten recht. Mit diesem Mann stimmte etwas nicht. Sie wollte es unbedingt herausfinden.
Der Platz vor dem Dom war inzwischen sauber geschrubbt worden, und auch im Kirchenschiff hatte der Küster den Boden vom Blut gereinigt.
Rosa ging geradewegs zur kleinen sechzehneckigen Heilig-Grab-Kapelle im linken Kirchenschiff, wo Kaiser Otto und seine Frau Editha nebeneinander thronten. Sie schlüpfte durch die Tür ins Innere, wo Benno sie geküsst hatte.
Ihr Atem stockte, als sie das Herrscherpaar erblickte, und ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen.
Keine Frage, er war hier gewesen, als sie sich geküsst hatten! Er war im Dom gewesen und hatte sie beobachtet und belauscht. Der Mörder von Klaus Emmerich.
Kaiserin Editha hielt einen Fetzen rohes Leder in der Hand und Otto der Große ein Stück Pergament voller Paragrafen. Von ihren Schläfen lief eine rotbraune Spur die Wangen hinab. Es war das Blut eines Toten.
Wie von wilden Hunden gehetzt stürmte Rosa aus dem Dom. Panische Angst lähmte ihr Denken. Was sollte sie tun? Sie musste unbedingt Benno finden, ihn warnen, ehe es zu spät war!
Emmerichs Mörder war nun hinter ihnen her. Er hatte alles mitbekommen, worüber sie im Dom gesprochen hatten. Sie waren ihm mit ihren Ermittlungen zu nahe gekommen, gefährlich nahe. Deshalb hatte er ihnen diese unmissverständliche Warnung geschickt.
Wo steckte Benno nur?
Rosa rannte die Straßen hinunter, fragte bei den Stetters nach ihm, doch außer zwei Gesellen und einem Lehrling war niemand zu Hause, und auch die Vermieterin seiner kleinen Dachwohnung wusste nicht, wo der junge Herr sich aufhielt.
Conrad Friese, den sie aus der Elbe gezogen hatte, und sein älterer Bruder Daniel kamen die Gasse hinunter. Beide grüßten Rosa, doch sie winkte nur kurz zurück. Während sie weiterlief, hörte sie Conrad noch sagen: »Ich passe auf sie auf. Ich bin ihre …« Die letzten Worte bekam sie nicht mehr mit.
Sie kam am Alten Markt vorbei. Der Platz war fast menschenleer. Nur die Sybille von Magdeburg lehnte mit wirrem Blick am Reiterdenkmal Kaiser Otto des Großen, der von zwei Frauen begleitet wurde, von denen eine ein Schild trug und die andere eine Fahne. – Sie brabbelte unverständliches Zeug vor sich hin.
Armes Weib!, dachte Rosa voller Mitleid. Man hat dir dein Kind, deinen Verstand, deine Würde und dein Leben gestohlen.
Sie fühlte sich gedrängt, der Frau etwas Gutes zu sagen. In ihrer Schürzentasche fand sie zwei Groschen. Sie nahm sie heraus, ging zu der Verwirrten hinüber, drückte ihr die beiden Münzen in die Hand und streichelte ihr anschließend den Arm.
»Hier, gute Frau, kauf dir dafür etwas zu essen. Du wirst es nötiger haben als
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