FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
meinte Benno, »aber eins muss ich noch sagen: Am besten, wir sprechen mit niemandem, über das, was wir bisher herausgefunden haben, auch nicht unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Unser Gesprächspartner könnte sich aus Versehen verplappern und ›unser Freund‹ dadurch gewarnt werden. Klaus Emmerich wurde außerdem übel zugerichtet, und ich möchte nicht, dass ihr beiden euch in Gefahr bringt, auch Sie nicht, Rosa. Also, passen Sie bei Ihren Ermittlungen auf! Halten Sie sich besser zurück. Der Schlaksige hat Sie ja schon auf dem Kieker, und wenn der mit Bernhard von Absberg unter einer Decke steckt, dann kann Sie schon ein falsches Wort den Hals kosten.«
Benno war sehr ernst geworden, und Anneliese spürte echte Besorgnis in seiner Stimme.
Die beiden Frauen nickten.
»Gut, ich gehe dann«, sagte Anneliese und wandte sich zum Ausgang.
»Wir sehen uns sicherlich morgen wieder, wenn ich zur Fechtstunde komme«, rief Benno ihr halblaut hinterher, »und vielen Dank, dass Sie mir bei den Ermittlungen geholfen haben.«
»Keine Ursache!«, winkte Anneliese ab, ohne zurückzublicken. Sie spürte den Drang, sich noch einmal umzudrehen und nach Benno und Rosa zu sehen, aber sie beherrschte sich. Sie wollte sich nicht wie ein eifersüchtiges Jungmädchen verhalten, schon gar nicht vor dieser Rosa. Es reichte ihr schon, dass der Lohgerber'schen nun klar geworden war, nicht die Einzige zu sein.
»Kommen Sie, schauen wir uns den Dom an, wenn wir schon einmal hier sind«, sagte Rosa zu Benno. »Er wird auch ›St. Mauritius und Katharina‹ genannt und ist das älteste gotische Bauwerk auf deutschem Boden.«
»Gerne!«, stimmte Benno zu. Nichts wäre ihm lieber.
»Hier ist der Hochaltar, der heiligste Ort der Kirche. Deshalb wollte der Kaiser hier seine letzte Ruhestätte haben – sozusagen im Angesicht Gottes.«
Rosa zeigte über den steinernen Sarkophag von Kaiser Otto I. hinweg auf den Hohen Chor.
»Ja, die katholischen Kirchengebäude sind dem jüdischen Tempel nachempfunden«, nickte Benno. »Der Vorraum mit dem Weihwasserbecken entspricht dem Vorhof des Tempels, wo das Waschbecken stand. Danach kommt man beim Tempel in das Heilige mit dem Siebenarmigen Leuchter, dem Schaubrottisch und dem Räucheraltar. Das entspricht den Kerzen in der Kirche, dem Schrein, in dem die Hostie aufbewahrt wird, und dem Verbrennen von Weihrauch im Kirchenraum. Und der Hochaltar oder der Hohe Chor entspricht im jüdischen Tempel dem Allerheiligsten mit der Bundeslade, wo der Priester vor Gott trat.«
Rosa blickte ihn erstaunt an.
»Ein interessanter Vergleich!«, sagte sie.
»Es gibt nur einen Unterschied zwischen Kirche und Tempel: Der Eingang des jüdischen Tempels lag im Osten, sodass die Gläubigen nach Westen beteten und somit der aufgehenden Sonne den Rücken kehrten. Du, weißt ja, dass viele Völker in der Antike die Sonne verehrten und deshalb nach Osten gebetet haben.«
Rosa nickte.
»Die Kirchen wurden dagegen – wie auch der Dom – mit dem Altar in Richtung Osten gebaut, sodass nun die Christen in Richtung der aufgehenden Sonne beten. Damit wollte man es wohl den Sonnenanbetern leichter machen, zum Christentum überzutreten.«
»Gibt es deshalb in den alten Kirchen auch so viele Sonnensymbole?«
»Natürlich«, nickte Benno, »oft gerade am Hochaltar oder in den Kirchenfenstern im Osten.«
»Woher wissen Sie das alles, Sie haben doch Jura studiert und nicht Theologie?«
»Nun, ich interessiere mich für Menschen. Deshalb habe ich mich auch oft mit Theologen und jüdischen Rabbinern unterhalten. Wenn man ein Jurist sein will, sollte man wissen, was die Menschen denken.«
Sie schlenderten durch den rechten Seitenausgang des Chores und gingen hinter dem Hohen Chor entlang.
»Was bedeuten eigentlich alle diese Gegenstände im jüdischen Tempel?«, fragte Rosa. »Wissen Sie darüber auch Bescheid?«
»Nur ein wenig. Im Vorhof des jüdischen Tempels stand ja der Brandopferaltar, dahinter das Waschbecken. Das bedeutet, wenn wir zu Gott kommen wollen, brauchen wir ein Opfer für unsere Sünden, das ist Jesus, und sollen uns taufen lassen. Dann kommen wir in das Heilige, den ersten Raum des Tempels. ›Heilig‹ bedeutet ›abgesondert sein, um Gott zu gehören und ihm zu dienen‹. Durch die Taufe ruft uns Gott also in seine Gemeinde, um ihm zu dienen. So wie der Siebenarmige Leuchter Tag und Nacht brannte, so sollen auch wir Licht in der Welt sein. Der Tisch mit den Broten war ein Hinweis auf die Gemeinschaft
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