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FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter

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Titel: FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Wittwer
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ich.«
    Die Augen der von Folter und Schmerz Gezeichneten leuchteten auf. Rosa konnte tiefe Dankbarkeit darin lesen. Sie hatte wohl schon lange kein freundliches Wort mehr gehört, geschweige denn eine milde Gabe erhalten.
    Wie unter einer Eingebung nahm die Sybille Rosas Hand und wies mit der anderen auf eine der Frauen des Denkmals, die den Reiter begleiteten.
    »Du trägst das Schild. Du musst ihn schützen!«, sagte sie mit heiserer Stimme und schaute Rosa eindringlich an, als wüsste sie um die Ereignisse im Dom. »Gott hat es mir gezeigt. Du musst ihn schützen.«
    Dann eilte sie mit wehendem Rock davon und verschwand in der nächsten Gasse.
    Wie benommen stand Rosa vor dem Denkmal und blickte auf die drei Figuren.
    »Ich trage das Schild und muss ihn schützen«, wiederholte sie halblaut.
    Sie spürte, wie die panische Angst, die sie bisher durch die Gassen gejagt hatte, von ihr wich und ein Gefühl der inneren Stärke sie ruhig werden ließ.
    Nein, sie ließ sich von niemandem ins Bockshorn jagen, weder vom Emmerich-Phantom, dem schlaksigen Fremden oder diesem von Absberg oder wer immer in der Heilig-Grab-Kapelle sie mit dieser makabern Warnung erschrecken wollte! Sie würde ihnen weiter auf den Fersen bleiben, bis einer sich verriet. Und sie wusste auch schon, was sie als Nächstes tun musste, um das Gesindel ans Tageslicht zu locken.
    Der Mittwoch war einer der schwärzesten Tage für Rosa sowie für alle Einwohner von Sudenburg und der Neustadt. Oberst Dietrich von Falkenberg hatte den Befehl erlassen, die beiden Vorstädte unverzüglich zu räumen, um sie am nächsten Tag niederbrennen zu können. Unter Flüchen und Tränen packten die Menschen ihre Habseligkeiten zusammen, luden sie auf Hand- oder Ochsenkarren und schafften alles in die Altstadt. Dort wurden die Bessergestellten in Wohnhäusern untergebracht, deren Eigentümer noch Platz hatten. Die Unterschicht fand dagegen in Scheunen, Lagerhäusern, Klöstern und Nebengebäuden von Kirchen Unterkunft.
    Rosa und ihr Vater bemühten sich darum, im Kloster Unser Lieben Frauen einen Platz zu bekommen, das unweit vom Dom lag. Benno hatte ihnen gesagt, Tilly würde das katholische Kloster mit Sicherheit nicht beschießen lassen. Außerdem wollten sie untersuchen, ob der unterirdische Gang, den sie entdeckt hatten, möglicherweise sogar zum Kloster führte und dort einen Ausgang hatte. Das war nicht unwahrscheinlich, da die Mönche im Mittelalter sich oft einen solchen Fluchtweg freihielten.
    Das Kloster war um die Jahrtausendwende durch Erzbischof Gero als Marienstift gegründet worden. Einige Jahre später hatte Erzbischof Werner für das Kloster eine dreischiffige, flachgedeckte Basilika errichten lassen. Vielleicht war dabei auch ein Gang zum Dom und zur Elbe anlegt worden, vermutete Rosa. Sie hatte sich ein wenig mit der Geschichte ihrer Heimatstadt beschäftigt, aber viel wusste sie nicht.
    Schon in den Tagen zuvor hatte Hans Münkoff den Gang stadteinwärts erkundet, war aber nicht weit gekommen, weil er auf Ratten traf, die ihn wieder umkehren ließen. Er mochte dieses Viehzeug nicht, besonders nachdem seine Frau an der Pest verstorben war. Für diese Seuche waren sicherlich Ratten verantwortlich gewesen.
    Rosa und ihr Vater hatten nicht alle ihre Habseligkeiten mitgenommen. Die besten Gerber-Werkzeuge, Kleidung, Schuhe, Decken und was sonst noch für eine Flucht notwendig war, hatten sie sorgfältig verpackt und in der alten Waffenkammer hinter einem Haufen Gerümpel versteckt. Danach hatte Hans Münkoff die Mauer wieder verschlossen, mit Lehm verschmiert und sie anschließend mit Sand und Erde beworfen, sodass der Putz aussah, als wäre er schon viele Jahrzehnte alt. Den Rest ihres Haushaltes und der Werkstatt hatten sie auf einem Handkarren zum Platz vor dem Dom transportiert, von wo aus die Menschen auf die Altstadt verteilt wurden.
    Tatsächlich wurden sie im Kloster »Unser Lieben Frauen« untergebracht, weil nur wenige Sudenburger zu den Katholiken wollten. Sie erhielten zwei winzige Zellen im Dormitorium. Die wenigen Prämonstratenser-Mönche des Klosters, drei Chorherren aus Böhmen und sechs Chorherren aus den Niederlanden, waren dafür in die Räume gezogen, in denen vor 34 Jahren der letzte katholische Probst gelebt hatte. Die Mönche hatten sie sehr herzlich aufgenommen und sich bereit erklärt, ihnen zu helfen, wenn sie Probleme hätten.
    Nachdem sie sich notdürftig eingerichtet hatten, streiften Rosa und ihr Vater durch die

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