freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
Halbzeitpause und nach Entdeckung
der Leiche hatte er reichlich Anrufe bekommen. Vermutlich von Journalisten, Verwandten, Kollegen, die erfahren wollten, was
passiert war. Es gab einige |308| Nummern, die besonders oft angeläutet hatten, und es wäre wohl nützlich gewesen, die Identität der Besitzer festzustellen
und auch deren Verbindungsübersichten zu prüfen, aber auf diese Weise hätte man einen Endlosmechanismus in Bewegung gesetzt,
eine Spirale, die sich immer weiter vom Kern der Ermittlungen wegdrehte. Außerdem fehlten die vermutlich aufschlußreichsten
Verbindungen: die von Ferrettis zweitem Handy, dessen Nummer bisher unbekannt war. Giampieri versuchte gerade, sie mit Hilfe
eines Hackers in Luca Ferrettis E-Mails aufzuspüren.
Nach einer Stunde Arbeit fingen Lucianis Schläfen zu pochen, seine Augen zu schielen an. Scheißverbindungsübersichten, dachte
er, bringen wie immer gar nichts. Er legte die Arme auf den Tisch und dachte, wenn er die Augen nur einen klitzekleinen Moment
schließen würde, dann ginge es ihm anschließend sicher besser.
Der Schlaf entführte ihn sofort in sein graues Schattenreich.
»Ich werde ganz offen zu Ihnen sprechen, Herr Kommissar.« Staatsanwalt Delrio stützte die Ellbogen auf die Eisenstange vor
dem Haifischbecken. Er hatte einen fünf- oder sechsjährigen Neffen mitgebracht, damit die Sache unverfänglich wirkte, außerdem
tat er so, als hätte er Marco Luciani rein zufällig getroffen. Während der Junge mit offenem Mund beobachtete, wie die Haie
langsam ihre Runden drehten – wenn sie ihn ansteuerten, wich er jedes Mal einen Schritt zurück –, führte der Staatsanwalt
die gefalteten Hände ans Kinn und fing an, leise und schnell zu sprechen, wie ein junger Priester, der sein erstes Begräbnis
zelebrieren muß.
»Wie ich meine, bereits gesagt zu haben, wollte Doktor Angelini von Beginn der Ermittlungen an, daß ich Sie von dem Fall abberufe.
Ich sperrte mich stets und dachte, ich |309| hätte einen gewissen Einfluß auf ihn. Aber die Art und Weise, mit der er mich übergangen und den Haftbefehl gegen Saggese
unterschrieben hat, verstörte mich zutiefst.«
Abberufen, zutiefst verstören, wiederholte Luciani innerlich. An diesem jungen Mann war wirklich ein Pfarrer verlorengegangen.
»Wußten Sie nichts davon?« fragte er.
»Ich hatte den Verdacht, daß etwas im Busch sei. Angelini hatte ja auch angekündigt, daß er nach Ablauf des Ultimatums auf
eigene Faust handeln werde, auch wenn ich nicht geglaubt hätte, daß er so weit gehen würde. Neulich hat ein Freund mich gewarnt,
daß irgend etwas Merkwürdiges im Gange sei, daß sie sich jemanden greifen wollten, und ich konnte mich gerade noch rechtzeitig
krank melden. Angelini hatte aber sowieso in eigener Regie gehandelt und mich erst a posteriori verständigt, ein Zeichen,
daß er mir nicht mehr traut.«
»Aber warum schwenken die schlagartig auf Mord um? Nachdem sie die ganze Zeit für einen Selbstmord plädiert hatten. Und dann
gerade jetzt, wo alle Indizien für Suizid sprechen?«
»Ich weiß nicht … ich bin genauso überrascht wie Sie. Die einzig mögliche Erklärung ist, daß bekannt wurde, daß Sie hinter
das zweite Handy gekommen waren und daß man Sie auf der Mordfährte überholen wollte.«
»Aber woher haben sie davon erfahren? Ich habe praktisch mit niemandem darüber gesprochen.«
»Ich hoffe, daß Sie nicht mich im Verdacht haben, Herr Kommissar. Aber einen Verdacht habe ich, deshalb wollte ich Sie auch
hier und nicht in meinem Büro treffen.«
Sie schauten einander an – sie dachten beide dasselbe.
»Wie auch immer«, setzte Delrio wieder an, »vielleicht meinten sie auch, daß der Selbstmord weder Sie noch die öffentliche
Meinung zufriedenstellen würde. So dagegen, |310| mit einem Schuldigen, dürfen wir uns alle zufrieden zurücklehnen.«
»Alle bis auf Saggese.«
»Wohl wahr. Aber das stellt für die kein Problem dar.«
Der Neffe des Staatsanwalts kam und wollte Aufmerksamkeit.
»Onkel, gehen wir jetzt zu den Seehunden, ja?«
»Klar. Wir gehen sofort. Haben dir die Haie gefallen?«
»Jaaaa. Weißt du, daß der eine mich fast berührt hätte? Der ist so auf mich zu gekommen, schau mal. Wenn die Scheibe nicht
dazwischen gewesen wäre …«
Sie schauten eine Weile den Seehunden bei ihren Spielen zu, wie sie mit unglaublicher Eleganz aus dem Wasser schossen, wieder
eintauchten und präzise wie ferngesteuerte Torpedos ihre
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