freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
Regeln gebrochen werden. Sie haben einen Schuldigen gefunden, mit dem alle einverstanden
sind. Laß ihn ihnen.«
»Das sagst ausgerechnet du? Man sieht, daß du noch nicht wieder gesund bist.«
Der Freund starrte an die Decke. »Mir geht es bestens. Ich sehe so klar wie einer, der eben noch mit dem Tod geflirtet hat
und es immer noch tut. Ich versichere dir, ich könnte dir keinen besseren Rat geben: Laß Saggese über die Klinge springen,
mit den besten Wünschen für die Zukunft …«
»Nein, Saggese wird nicht über die Klinge springen. Die sind alle befreundet, stecken alle unter einer Decke. Im Moment nimmt
er die Schuld auf sich, aber in einigen Monaten wird er draußen sein, man wird sich in aller Form entschuldigen, und die Ermittlungen
werden allmählich versanden.«
|316| Baffigo dachte einen Moment nach: »Mag sein. Aber es gibt noch eine andere Lösung, die meiner Meinung nach die wahrscheinlichere
ist.«
»Die wäre?«
»Saggese meint, er kommt mit einem blauen Auge davon, aber ich an seiner Stelle wäre äußerst vorsichtig. Nur mal angenommen,
sie haben sich Ferrettis Handy verschafft. Nur mal angenommen, dieses Handy wird bei Saggese gefunden. Nur mal angenommen,
ihm wird im Gefängnis ein Kaffee mit Schuß à la Sindona 2 gereicht, oder er stolpert über ein Bettlaken, das an den Gitterstäben verknotet ist. Da wird nicht nur Sand auf die Ermittlungen rieseln, sondern da fällt ein zentnerschwerer Grabstein darauf.«
Der Kommissar schaute den Freund bewundernd an. Der hatte zwar die Neigung, hinter allem ein Komplott zu sehen, aber diesen
Gedankengang mußte man ernst nehmen: »Ich habe den Eindruck, du bist wieder fit, Baffo.«
Sein Gegenüber nickte: »Das heißt, du läßt es sein?«
»Nicht mal, wenn ich tot wäre. Ich werde das bis zum Ende durchziehen, und ich werde es schaffen.«
»Nein. Du wirst es nicht schaffen.«
»Auch Tangentopoli schien undenkbar. Aber wir wissen, was passiert ist.«
»Komm schon … Du weißt besser als ich, daß Tangentopoli nicht von einem einfachen Polizeikommissar losgetreten wurde. Dahinter
steckte politischer Wille, die Öffentlichkeit war mobilisiert … und dann sind doch wieder die alten Zustände eingetreten.«
Marco Luciani hob eine Augenbraue: »Nein. Die alten Zustände sind nicht wieder eingetreten. Für mich ist seitdem alles anders
geworden.«
|317| Baffigo schwieg lange, er ließ sich ein Glas Wasser einschenken, das er mit angewiderter Miene hinunterstürzte, dann schloß
er: »Du willst nicht nur für Ordnung sorgen, Marco. Das ist für dich eine persönliche Geschichte, und das macht mir am meisten
Sorgen.«
Als sie in den Hauseingang traten, empfing sie ein feuchter, abgestandener Geruch. Die Treppenstufen waren mit Hausputz bestäubt,
der von Decke und Wänden bröselte. Zigarettenkippen und Bonbonpapierchen lagen herum, an den Wänden klebten Kaugummis.
Bis dahin hatte er vermieden, sie einzuladen. Er schämte sich für das Bild der Verwahrlosung, das sich ihr bieten würde, fürchtete,
daß diese Behausung sein wahres Ich widerspiegelte und daß Sofia Lanni in dieser Umgebung wie aus einem Traum aufschrecken,
in dieser abstoßenden Häßlichkeit plötzlich Lucianis wahres Gesicht erkennen würde. Aber dann hatte er gedacht, daß es unvermeidlich
war. Früher oder später würde das böse Erwachen kommen, die Rückkehr in die Wirklichkeit, in die Einsamkeit, es war sinnlos,
sich weiter zu verstecken.
»Schau dich lieber nicht allzu gründlich um«, sagte der Kommissar, »hier lebt die Erdfauna, mich natürlich eingeschlossen.«
Die Detektivin folgte ihm, wobei sie versuchte weder den Handlauf noch sonst etwas zu berühren.
»Habt ihr niemanden, der das Treppenhaus putzt?«
»Nein, wir sind alle zu abgebrannt, um uns diesen Luxus zu gönnen. Theoretisch müßte jeder seine Etage und seinen Abschnitt
des Treppenhauses sauberhalten, aber in der Praxis schiebt jeder seinen Schutt einfach in die tiefergelegenen Stockwerke.
Ein Sinnbild des Daseins.«
Er merkte, wie seine Aktien mit jeder Treppenstufe weiter fielen. Er sagte sich zum tausendsten Mal, daß es ein Fehler |318| war, sie mit nach Hause zu nehmen, und daß er ihrem Drängen niemals hätte nachgeben dürfen. Und zum tausendsten Mal sagte
er sich, daß er sie, solange er sie nur in ihrem Apartment traf, so behandelte, als wollte er sie nicht in sein Leben lassen.
Und vielleicht hoffte er im Innersten seines Herzens, daß
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