freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
einem mechanischen Kraken, kalt und unermüdlich. Bevor Marco Luciani
die Abteilung betreten durfte, mußte er sich bei einem Pfleger mit der üblichen Ausrüstung – Kittel, Mundschutz, Überschuhe
– ausstatten.
|374| »Wird er durchkommen?«
»Diesmal ja, Herr Kommissar. Aber sein Allgemeinzustand ist extrem schlecht. Auch wenn er diese Krise überstehen sollte –
das Ganze ist eine Frage der Zeit.«
»Wieviel Zeit?«
Sein Gegenüber lächelte: »Ein Liter, ein halber Liter, wer weiß. In diesem Zustand kann ein einziges Glas fatal sein.«
Selbst in seiner Montur durfte der Kommissar das Zimmer nicht betreten, durch die große Scheibe betrachtete er Sandro Baffigo,
der im Halbschlaf dalag. Der Pfleger näherte sich dem Bett und schüttelte den Patienten. Es dauerte eine Weile, ehe dieser
die Augen öffnete und verstand, daß er Besuch hatte. Dann bedeutete er Marco Luciani, das Wandtelefon neben der Scheibe zu
nehmen, er hielt den anderen Hörer an Baffigos Ohr. Doch der Journalist sagte etwas und bedeutete Luciani einzutreten. Der
Pfleger schüttelte den Kopf, sie diskutierten eine Weile, dann kam der Mann heraus und sagte: »Sie können hineingehen, aber
nicht länger als fünf Minuten. Und sagen Sie es niemandem.«
Marco Luciani gab sich einen Ruck, im Grunde wäre er lieber am Fenster geblieben, hätte seine Gefühle hinter einer Glasscheibe
und einem Telefon versteckt, statt dem Tod direkt ins Auge zu blicken. Er trat ans Bett, Baffigo standen Krankheit und Sorge
ins Gesicht geschrieben.
»Ich habe ihnen das nicht gesteckt, Marco. Das schwöre ich dir. Ich habe es niemandem verraten«, sagte er mit überraschend
fester Stimme.
»Wovon redest du?«
»Von dir und dem Schiri. Die olle Kamelle.«
»Ich weiß, Baffo. Ich weiß, mach dir keine Gedanken.«
»Wie haben sie es erfahren?«
»Meine Schuld. Manchmal rede ich zuviel.«
Der Kommissar setzte sich ans Bett und nahm die Hand |375| des Freundes. Sie war kalt und weich, als ob die Knochen fehlten.
»Wie fühlst du dich? Du hattest mit versprochen: keinen Alk.«
Der Journalist schaute sich um, kontrollierte, daß sie nicht durch die Scheibe beobachtet wurden, dann zwinkerte er Marco
zu: »Mir geht es bestens, aber sag es niemandem. Als die Carabinieri kamen wegen dieser Geschichte mit dem Aussageprotokoll
der Brasilianerin, da kippte ich eine Flasche in den Ausguß und über meine Klamotten und spielte ihnen einen Zusammenbruch
vor, um nicht im Knast zu landen. Aber ich habe keinen Tropfen getrunken, ich schwöre es dir.«
Marco Luciani blieb der Mund offenstehen: »Du Scheißkerl, und ich habe mir Sorgen gemacht.«
»Schhhh, mach das weiterhin, und halt mich auf dem laufenden.«
Der Kommissar erzählte, wie auch er im Morgengrauen von den Carabinieri abgeholt worden war. Wie Angelini alle in die Enge
getrieben hatte, damit sie die Selbstmordtheorie schluckten, und wie Sofia Lanni mit ihrer Zeugin dem Ganzen das i-Tüpfelchen
aufgesetzt hatte, um auch die letzten Zweifel zu zerstreuen.
Baffo überlegte eine Weile, dann lächelte er weise: »Ich habe das starke Gefühl, daß sie dich diesmal ordentlich aufs Kreuz
gelegt haben, Marco. Gib’s auf. Und genieß deinen Urlaub.«
»Weißt du, was mich mehr als alles andere wurmt? Ich wußte von Anfang an, daß Ferretti sich umgebracht hat. Aber ich wollte
weiterermitteln, um den Grund herauszubekommen. Den anderen ist das völlig egal, jeder wird die Version erzählen, die ihm
die liebste ist, und das ist in Ordnung so.«
»Und was hofftest du herauszufinden?«
|376| »Daß weder die Gattin noch die Brasilianerin der Grund für seinen Selbstmord war, sondern seine Gewissensbisse. Schuldgefühle,
weil er ein korrupter Schiedsrichter war.«
»Niemand hat ein schlechtes Gewissen, weil er sich korrumpieren läßt. Er bereut höchstens, daß er sich hat erwischen lassen.«
»Ein schöner Satz. Ist der von dir, oder hast du ihn jemandem geklaut, der noch zynischer ist als du?«
Baffigo machte ein schmerzverzerrtes Gesicht. Über eine Minute lang atmete er schwer, dann ergriff er wieder die Hand des
Kommissars: »Marco. Marco, ich bitte dich, versuch mal von deinem Sockel zu steigen. Wie lange willst du dich noch kasteien?
Du hast auf alles verzichtet, um deinen Vater zu bestrafen, und in Wirklichkeit büßt du noch immer die Schuld für ihn ab.
Man hatte ihn zu – wieviel? – acht Jahren verurteilt, und du hast schon zwölf oder dreizehn abgebüßt.
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