freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
Polizisten geben,
die Beweise manipulierten und sich selbst zu ihrem »Recht« verhalfen. Nein, dachte er, eine solche Rechtfertigung ergibt keinen
Sinn. Selbst wenn wir von |189| der Schuld eines Menschen hundertprozentig überzeugt sind, dürfen wir ihn nicht auf diese Weise festnageln. Das würde dazu
führen, daß wir irgendwann, aus Bequemlichkeit, Gewohnheit oder Karrierestreben, einen Unschuldigen ans Messer liefern.
Wenn er unter Eid die getürkte Version seines Kollegen über die Messerstecherei auf der Gasse bestätigte, war das ein gravierendes
Vergehen. Wenn er ihn andererseits verriet, würde er weder in Genua noch sonstwo je wieder als Kommissar arbeiten können:
Ein Polizist reitet niemals einen anderen Polizisten rein. Luciani befand sich in der Zwickmühle, und wofür er sich auch immer
entschied – er würde auf jeden Fall das Ideal der Gerechtigkeit verraten, für das er seit Jahren verzweifelt kämpfte.
Als er im Gerichtssaal eintraf, war er immer noch unschlüssig. Er war verblüfft, wieviel Publikum gekommen war. Unter den
Zuhörern waren Leute jeden Alters und jeder Provenienz; zahlreiche Jugendliche waren leicht als Fußballfans zu erkennen, auch
wenn sie weder Schals noch Fahnen dabeihatten, aber vor allem waren sehr viele Journalisten da. Vier oder fünf von ihnen versuchten
Luciani aufzuhalten, sie warfen ihm ein paar Fragen an den Kopf, doch der Kommissar gab zu verstehen, daß er nicht sprechen
könne. Dann setzte er sich in den Bereich, der den Zeugen vorbehalten war.
Die Vorstellung, einen Eid abzulegen und dann vor all diesen Leuten Lügen zu erzählen, setzte ihm körperlich zu, sein Magen
war auf die Größe einer Faust geschrumpft, sein Kopfschmerz bohrte.
Nach zehn Minuten betraten die vier Angeklagten den Saal, gekleidet wie Musterknaben. Sie trugen gebügelte Hosen und Hemden,
auf die schwarzen Blousons und ihr Piercing hatten sie verzichtet. Irgendwer hatte sie aufpoliert |190| und darauf dressiert, beim Richter einen guten Eindruck zu hinterlassen – gegen die Verbrechervisagen und den stupiden Gesichtsausdruck
war dieser Jemand allerdings machtlos gewesen.
Als Marco Luciani den Verteidiger auftauchen sah, entfuhr ihm ein Laut der Überraschung. Die Sache der vier Vorstadtrowdys
wurde nicht von einem gewöhnlichen Pflichtverteidiger vertreten, nein, um diese vier Hooligans herauszupauken, hatte sich
der Anwalt herbemüht, der als Kronprinz des Turiner Gerichtsstands galt. Wobei es sich bei ihm tatsächlich um einen Prinzen
handelte, er stammte nämlich aus einer steinreichen Sippe, die mit vielen Turiner Patrizierfamilien verwandt und verschwägert
war, mit jenen Kreisen, in die sich auch Schiedsrichter Ferretti – über den Fußballrasen – hatte vorarbeiten wollen. Vielleicht
hatte der Prinz sich von der Aussicht auf Publicity und Eigenwerbung locken lassen, oder vielleicht hatte ihn auch der Clubmanager
per Telefon um einen Abstecher nach Genua gebeten, auf daß er vor Gericht seinen aristokratischen Namen in die Waagschale
werfe.
Der erste, der aussagte, war Roberto Valle. Auf dem Weg in den Zeugenstand – er humpelte an einer Krücke – kam er bei Luciani
vorbei und zwinkerte ihm zu. Jetzt macht er Hackfleisch aus ihnen, dachte Marco Luciani. Doch kaum stand Valle vor dem Richter,
fing er an, die Vorfälle in sehr mildem Licht darzustellen, als eine Art Dummen-Jungen-Streich. Er sagte, er und seine Kollegen
hätten sich als Personenschützer auf einem gewöhnlichen Kontrollgang befunden – bei einem so heiklen Fall nichts als Routine.
Als sie gesehen hätten, daß Luciani eingekreist und bedroht wurde, hätten sie eingegriffen und die vier Hooligans mit ihren
Gummiknüppeln attackiert. Auf die betreffende Frage hin sagte Valle, daß er sich wohl an das Blitzen der Messer – vor |191| seinem Eingreifen – erinnern könne, doch, so fügte er hinzu, niemand habe sie benutzt, und – auf eine Nachfrage der Verteidigung
– man könne auch nicht mit Gewißheit behaupten, daß die vier sie überhaupt hätten benutzen wollen. Auf eine weitere Frage
der Verteidigung antwortete er, bei einem Handgemenge auf so engem Raum könne er wahrlich nicht sagen, wer ihn verletzt habe.
Und als der Anwalt der vier Hooligans auf die merkwürdige Bewegungsrichtung des Messers hinwies – die Stichverletzung in seinem
Oberschenkel verlaufe von oben nach unten, nicht von unten nach oben – gab er zu, daß es
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