freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
Lanni vor den abgebrühtesten Serienmörder, und er wird euch jedes Geständnis unterschreiben.
»Und über den Abschiedsbrief weiß man wirklich nichts? In einer Zeitung hieß es anfangs, ihr hättet einen gefunden, aber dann
war nie wieder die Rede davon.«
»Kein Brief. Aber er könnte etwas geschrieben haben. Von seinem Notizblock fehlt ein Blatt, und sein Kugelschreiber fehlt
ebenfalls.«
Sofia Lanni blieb der Mund offenstehen. »Verflixt.« – »Verflixt«, wiederholte sie nach kurzem Schweigen, »das |214| kompliziert die Sache gewaltig … Wenn man den Abschiedsbrief fände, wäre das der entscheidende Beweis für Suizid.«
Der Kommissar merkte, daß er zu weit gegangen war, und versuchte zurückzurudern: »Vielleicht ist es so, aber es ist nicht
gesagt, daß dieser Brief existiert, das ist nur eine Hypothese. Das Blatt könnte in Wirklichkeit auch schon früher abgerissen
worden sein, und den Kugelschreiber hatte er womöglich gar nicht dabei. Für die Eintragungen in seinen Block benutzte er einen
besonderen Bleistift, der noch in seiner Brusttasche steckte.«
Sie sprachen noch lange über andere Details. Die Detektivin stellte neue Verbindungen her, löste andere, arbeitete die neu
gewonnenen Informationen ein. Sie bestellte eine zweite Runde, und als die Gläser kamen, benetzte Marco Luciani nur die Lippen,
ohne zu trinken. Sie gingen noch einmal die Zeugenaussagen durch, außerdem Gewohnheiten, familiäres Umfeld und Bekanntschaften
Ferrettis. Nirgendwo gab es den entscheidenden Hinweis, weder für die eine noch für die andere Theorie.
Je mehr Zeit verstrich, desto weniger folgte Marco Luciani dem Inhalt des Gesprächs und desto häufiger warf er verstohlene
Blicke auf die Schenkel der Detektivin. Er fragte sich, wonach sie schmecken, wonach sie duften mochten. So vorsichtig er
auch war – irgendwann schien sie einen seiner besonders gründlichen Blicke abgefangen zu haben; sie verkrampfte sich sofort.
»Gut, Herr Kommissar, ich möchte Sie nicht langweilen. Ich würde sagen, für heute abend belassen wir es dabei«, sagte sie
plötzlich ernst.
Marco Luciani merkte, daß er den Fehler seines Lebens begangen hatte. Statt sich zu entspannen, dabei aber vernünftig zu bleiben,
hatte er sich betrunken und die Kontrolle über sich verloren. Er hatte sich wie ein Schwein, |215| wie ein Triebtäter benommen. Und vor allem hatte er sie in ihrer beruflichen Rolle nicht ernst genommen, er hatte ihr nur
zerstreut zugehört und dabei an etwas ganz anderes gedacht.
»Entschuldigen Sie mich einen Moment.«
Er stand auf, zog das Jackett aus und ging auf die Toilette. Er mußte ein bißchen von dem Alkohol loswerden, sich die Schläfen
kühlen, seine Selbstkontrolle und seinen klaren Verstand zurückgewinnen. Er sagte sich, daß der Abend ganz gut gelaufen war,
solange sie über den Fall Ferretti gesprochen hatten. Doch dann hatte sie ihn erwischt, wie er ihre Beine anstarrte, und das
schien sie … enttäuscht zu haben. Als meinte sie: Ich will hier mit dir über die Arbeit reden, will mit dir die Lösung in
einem komplizierten Fall finden, und du denkst nur darüber nach, wie du mich ins Bett kriegst. Und der Ton, mit dem sie diesen
Satz gesprochen hatte … immer noch höflich, keine Frage, aber in Wahrheit eiskalt.
Er krempelte die Ärmel hoch und hielt das Gesicht unter den Wasserhahn. Sein Kopf war schwer, er konnte sich nicht konzentrieren,
verstand nicht, wer an diesem Abend das Ruder in der Hand hielt und wohin er den Kahn lenkte. Er hatte sich eine Weile vorgemacht,
daß Sofia Lanni mehr von ihm wollte als nur ein paar Informationen zum Fall, etwas Persönliches, und wenn es nur Freundschaft
und Vertrauen waren. Aber wozu überhaupt? Er ließ noch einmal Wasser über Handgelenke und Schläfen laufen und hatte plötzlich
wieder einen klaren Kopf. Ich muß hinübergehen und jeden weiteren Fehler vermeiden, sagte er sich. Vielleicht war noch nicht
alles verloren, vielleicht hatte er noch eine Chance.
Sofia Lannis zweiter »Roter Orient« war fast ausgetrunken. Das war keine Frau, das war ein Pumpwerk. Sie stand auf, bevor
er sich setzen oder irgend etwas erwidern konnte.
|216| »Es ist ein bißchen spät geworden, was meinen Sie? Sollen wir los?«
Marco Luciani schaute auf die Uhr und spürte einen tödlichen Stich in der Brust. Es war gerade mal halb zwölf.
»Oh … natürlich. Natürlich, wir können ruhig gehen.« Er zog sein Jackett an und
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