FreeBook Nomenclatura - Leipzig in Angst
wir uns alle fünf mal beschnuppern können? Wo man vielleicht auch mal eine schmöken kann?“
„Ja, ja, kommen Sie ... In unserem Pausenraum, da kann man auch ... Mädels, kommt doch mal bitte mit!“ Leuthäuser lief gemächlich vorweg. Im Pausenraum ging er zum Fenster und verriegelte es. „Kein schönes Wetter heut ... – Setzen Sie sich doch ... Bitte.“
Auch die beiden älteren Damen nahmen am Tisch Platz. Leuthäuser holte einen Aschenbecher aus dem Versteck, leerte ihn in einem Mülleimer, setzte sich, nahm eine Schachtel Zigaretten – Marke Cabinet – aus der Tasche und zündete sich eine an. Während er Qualm aus der Nase steigen ließ, murmelte der Mann: „Einen richtigen Schreck habt ihr mir eingejagt. – Es geht also um die verlorenen Jungen? – Eine Schande ist das ...“
Hinrich redete schnell, denn er hatte eine bestimmte Reihenfolge für seine Fragen vorgesehen. „Sie fragen sich bestimmt, warum wir gerade zu Ihnen gekommen sind. Aus einem ganz bestimmten Grund. Wir benötigen Ihre sicherlich hervorragenden Geschichtskenntnisse die Stadt Leipzig betreffend.“
Leuthäuser sah den Kommissar interessiert an. „Wenn Sie die benötigen, sind Sie wahrscheinlich bei uns am besten aufgehoben. Was möchten Sie denn wissen?“
„Spielte irgendwann in der Geschichte dieser Stadt der Name Erik oder vielleicht Erich eine Rolle?“
„Na virzsch Jahre of jädn Fall“, meinte eine der Damen. „Da warmo noch zwanzsch hiere.“
Hanni Polterer verstand kein Wort und runzelte die Stirn.
„Na, Hanni, ich versteh schließlich auch kein Platt. Sie meint, zu DDR-Zeiten, da gab es den Erich. Es gab sogar mehrere: Honecker, Mielke. Die Frau sagt, damals hatte das Museum immerhin noch zwanzig Beschäftigte“, übersetzte Hinrich und Leuthäuser nickte dazu. „Aber diese Erichs meinte ich nicht.“
Mannfred Leuthäuser stierte Löcher in den Tisch. Er dachte angestrengt nach. Im Raum herrschte Totenstille, die Hanni Polterer nutzte, sich ebenfalls eine Zigarette anzustecken.
„Vor kurzem“, meinte der alte Herr nach einem geraumen Weilchen, „als unser ... dieser Praktikant hier war ...“
Hinrich und die Polterer schauten erstaunt auf, sagten aber kein Wort.
„Da haben wir doch die ... diese Privatfundsachen archiviert und ein paar transkribiert. Erinnert ihr euch noch?“
„Na jetzte, wo du’s sachst ...“
Leuthäuser erhob sich ruckartig von seinem Stuhl, dass der kippte und fast umgefallen wäre, und drückte aufgeregt die Zigarette aus. Mit einer Hand klopfte er auf den Pausentisch. „Ich glaube, Herr Kommissar, Sie sind goldrichtig bei uns ... Lotte, hol du das Original, das liegt noch in Regal 714 ... Ich schau mal in ..., mein Notizbuch ... Wo isses denn ... Hergott noch mal – Momentchen!“
Hinrichs Fingernägel klapperten unruhig auf dem Tisch. Lotte, das war die Frau mit dem sauberen Sächsisch, verließ mit Leuthäuser den Raum. Am Tisch saß noch die andere Frau, etwa fünfzig Jahre, die bisher kein Wort von sich gegeben hatte.
Hanni Polterer räusperte sich. „Können Sie sich erinnern, wie der Praktikant hieß?“
Die Frau lächelte. „Aber natürlich. Der hat doch erst vor kurzem hier aufgehört. Das war der Emanuel Müller, ein wissbegieriger, junger Mann, der am liebsten bei uns geblieben wäre.“
„Ach so? – Und warum hat er aufgehört?“
„Sein Praktikum war vorbei. Ging leider nur vier Wochen. Der war halt ein bisschen anders, aber wir haben es hier mit so vielen anderen Dingen zu tun, hier stört das keinen. Herr Leuthäuser hatte einen Antrag gestellt, dass Emanuel bleiben kann, weil dem doch die Arbeit so gut gefiel, aber es ist wohl am lieben Geld gescheitert, wie so vieles in dieser Stadt ... Dabei hatte er mit einer Grundschule ein Schulprojekt durchgeführt.“
„Na, zum Tunnelbauen scheint ja reichlich Geld da zu sein ...“, warf Hanni Polterer ein. „Mit einer Grundschule? Waren die Kinder auch hier?“
„Ja. Natürlich. Hier hat er sich ja bereiterklärt, die Kinder zu betreuen. Ein Junge kam fast jeden Nachmittag mit her.“
„Erik Bästlein?“, fragte Hanni Polterer sofort.
Die Frau sah die Hamburgerin lange an, dann verdeckte sie das Gesicht mit ihren Händen. „Mein Gott!“, flüsterte sie. „Das ist ja einer der Jungen ...“
„Nun wissen Sie, warum wir hier sind. – Hat Emanuel Müller erzählt, was er danach machen wollte?“
„Er wollte eine Berufsausbildung machen, an einem Institut. Und praktisch sollte der im Amt
Weitere Kostenlose Bücher