freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
Sicherheit dieses Tales zu wachen. Und der Menschen, die in ihm leben. Auch über dich und deine Familie, nebenbei bemerkt.«
Thor setzte zu einer Antwort an, von der er selbst nicht genau wusste, ob sie spöttisch oder scharf ausfallen würde, aber dann maß er Sverig nur mit einem nachdenklichen Blick. ›Deine Familie …‹, das klang sonderbar; vor allem aus Sverigs Mund, der von allen im Tal vielleicht derjenige war, mit dem erdas schlechteste Verhältnis hatte. Er würde nicht so weit gehen, ihn als seinen Feind zu bezeichnen, aber Freunde würden sie wohl niemals werden.
Er wiederholte noch einmal in Gedanken die beiden Worte, die Sverig gerade ausgesprochen hatte, und mit derselben Betonung wie er.
Deine Familie …
Plötzlich hatte dieser Begriff eine andere Bedeutung für ihn gewonnen. In der Zeit, die hinter ihm lag, waren Urd und ihre Kinder ganz selbstverständlich zu seiner Familie geworden, und er hatte sich ihrer angenommen, für sie gesorgt und die Verantwortung für sie getragen, als wäre das schon immer so gewesen – was für die kurze, subjektive Lebensspanne, an die er sich erinnerte, in gewissem Sinne ja auch stimmte. Nun aber – und vielleicht war das Erstaunlichste überhaupt, dass er diese Veränderung erst jetzt in vollem Maße begriff, ausgerechnet hier, an diesem kalten, öden Ort und in Gesellschaft des Mannes, den er am allerwenigsten zu seinen Freunden zählen würde – war aus etwas, von dem er nicht einmal mit Sicherheit sagen konnte, ob es nicht tatsächlich kaum mehr als ein bloßer Reflex gewesen war, Wahrhaftigkeit geworden. Aus Urd, der Frau, mit der er sein Leben teilte, würde die Mutter seines Kindes werden. Thor hatte sich bis jetzt nie die Frage gestellt, ob er überhaupt bereit dazu war, doch nun wusste er die Antwort. Er war es, und sobald sie zurück im Tal waren, würde er Urd das auch sagen, und –
Etwas Fremdes und Kaltes kratzte am Rande seines Bewusstseins, ganz schwach nur, wie jenes leise Knacken, dass man manchmal nachts in einem leerstehenden Gebäude hören konnte. Thor setzte sich mit einem Ruck auf, und auch Sverig fuhr erschrocken zusammen, und seine Hand glitt unter den Mantel; auch wenn es wahrscheinlich nur eine Reaktion auf Thors unübersehbares Erschrecken war. Zu hören oder gar zu sehen war jedenfalls rein gar nichts. Graues Zwielicht lag über dem Land, und das einzige Geräusch war das monotone Säuseln des Windes, der hier niemals ganz aufhörte. Auch das Kratzen an seinen Gedanken war fort.
Vielleicht war es auch niemals da gewesen.
Sverig nahm die Hand wieder unter dem Mantel hervor, und der größte Teil der Anspannung wich aus seiner Gestalt. Sein Blick wurde fragend.
»Nichts«, sagte Thor. »Ich dachte, ich hätte etwas gehört, aber ich muss mich wohl getäuscht haben.«
Vielleicht war es ja auch nur der Gesang Mjöllnirs gewesen, an den er sich immer noch nicht gewöhnt hatte.
»Du hast etwas gehört«, meinte Sverig. »Es ist die Stille. Du bist nicht der Erste, dem es so ergeht.« Er machte eine Geste in die immerwährende Dämmerung hinaus, und Thor war nicht ganz sicher, ob das Schaudern, das plötzlich über seine Gestalt lief, tatsächlich nur an der Kälte lag. »Man kann die Leere hier draußen hören. Nicht jeder erträgt sie. Früher haben die Männer hier draußen vier Wochen Wache gehalten, bevor sie abgelöst wurden, aber nicht alle haben es ausgehalten. Einige sind verrückt geworden. Seither lösen wir sie im Wochentakt ab … oder haben es getan, als dieser Turm noch ständig besetzt war.«
Thor hatte das Gefühl, dass von ihm eine ganz bestimmte Reaktion auf diese Worte erwartet wurde, aber er wusste nicht, welche. Er stand auf, drehte eine langsame Runde über die verfallene Plattform und versuchte das staubfarbene Zwielicht mit Blicken zu durchdringen. Es war jener Moment zwischen Tag und Nacht, in dem das erwachende Licht die Augen narrte und in dem man im Grunde weniger sah als im Dunkeln, nur dass er hier nicht wenige Augenblicke dauerte, sondern Tage.
Wieder kratzte etwas am Rande seines Bewusstseins, aber diesmal war er darauf vorbereitet und reagierte nicht überrascht, sodass Sverig wohl gar nichts davon merkte. Er war auch gar nicht mehr ganz sicher, ob das Gefühl überhaupt real gewesen war. Vielleicht war es tatsächlich dieser seltene Moment, jener spezielle Augenblick zwischen Dunkelheit und Licht, in dem die Geschöpfe der Träume ihren Weg herüber in die Wirklichkeit fanden.
Und
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