freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
ein anderes Gefühl zu verhehlen, ohne dass es ihm wirklich gelang: Erschrecken.
»Ja«, sagte er. »Das ist wohl dein gutes Recht. Sie wartet schon auf dich. Komm.«
Sie gingen über den kurzen Flur, an dessen Ende der große Raum lag, in dem sie so oft mit Bjorn und seiner Frau zusammengesessen und endlose Gespräche über die Götter und die Welt und den Sinn des Lebens geführt hatten. Abgesehen von der ehemaligen Schmiede war dieses Haus vielleicht der Ort im ganzen Tal, den er am ehesten mit dem Wort ›Zuhause‹ verbunden hätte, so wie seine Bewohner vielleicht die Menschen waren, die dem Begriff ›Freunde‹ noch am nächsten kamen. Jetzt hatte sich das Haus in ein Gefängnis verwandelt und sein Besitzer möglicherweise in einen Feind.
Thor erschrak, während er sich vergeblich fragte, warum er das gerade gedacht hatte. So etwas war nicht seine Art, und Bjorn und seine Frau hatten es einfach nicht verdient, dass er auch nur so über sie dachte .
Bjorn öffnete nicht die Tür zur Stube, sondern blieb vor einem schmalen Durchgang stehen, der nur mit einem Vorhang verschlossen war. Als Thor das letzte Mal hier gewesen war, hatte es dort eine kleine Kammer voller Regale gegeben, in der Nele ihre Vorräte für den langen Winter aufbewahrte.
»Urd«, sagte Bjorn knapp und noch immer, ohne ihm direkt in die Augen zu sehen. »Aber lasst euch nicht zu viel Zeit. Wir haben eine Menge zu besprechen.«
Thor schlug den Vorhang zur Seite, doch das Erste, was er sah, war nicht Urd, sondern der Rücken eines breitschultrigen Kriegers, der mit vor der Brust verschränkten Armen unter der Tür stand. Urd selbst saß auf einem der hier allgemein üblichen niedrigen Hocker, hatte die Beine übereinandergeschlagen und die Arme gleichfalls vor der Brust verschränkt, und der Ausdruck auf ihrem Gesicht war so finster, dass Thor sich allen Ernstes fragte, wer hier eigentlich wen bewachte.
Der Mann machte keinerlei Anstalten, ihm aus dem Weg zu gehen, sondern rührte sich erst, nachdem Bjorn sich lautstark geräuspert hatte.
»Was soll das?«, fragte Thor zornig. »Ist Urd jetzt ebenfallsdeine Gefangene, oder ist das deine neue Art, mit Gästen umzugehen?«
Bjorn räusperte sich noch einmal und bedeutete dem Krieger mit einer unwilligen Geste, die Kammer zu verlassen. »Beeilt euch«, sagte er nur unbehaglich.
Urd wartete, bis Bjorn und sein Begleiter verschwunden waren und der Vorhang hinter ihnen zugefallen war, dann aber sprang sie auf, umarmte ihn so stürmisch, dass er beinahe um sein Gleichgewicht kämpfen musste, und küsste ihn noch stürmischer.
»Thor! Den Göttern sei Dank, sie haben dir nichts getan!« Sie küsste ihn erneut, und diesmal so ungestüm und lange, dass nicht nur ihm die Luft wegblieb, sondern auch sie selbst die nächsten Worte nur atemlos und mühsam herausbrachte. »Du bist … wohlauf! Ich dachte schon … sie … hätten dir etwas angetan.«
»Mir etwas angetan? Aber warum sollten –?« Dann begriff er, löste sich fast schon gewaltsam von ihr und schob sie auf Armeslänge von sich weg. »Was haben sie dir angetan, Urd?«
»Nichts«, erwiderte sie hastig. »Niemand hat mich angerührt, keine Sorge. Sie haben mich nur …«
»Ja?«, fragte Thor, als sie den Satz unbeendet ließ und sich nur auf die Unterlippe biss, als könnte sie die letzten Worte auf diese Weise zurücknehmen.
»Nichts«, beharrte sie. »Sie haben mich nur unter Hausarrest gestellt.«
»Unter Hausarrest?«
»In unserem eigenen Haus … aber sie waren sehr höflich«, sagte Urd rasch und hob zusätzlich beruhigend die Hand. »Niemand hat mir etwas getan.«
»Sie haben dich eingesperrt? «, vergewisserte sich Thor; beinahe mehr erstaunt und ungläubig als wirklich zornig.
»Ich durfte mit niemandem reden«, bestätigte Urd. »Nicht einmal mit den Kindern.«
»Warum? Wer?«
»Bjorn«, antwortete sie. »Und er hat mir nicht gesagt, warum. Aber ich vermute, diese Sigislind steckt dahinter.«
»Wieso?«, fragte Thor.
Darauf bekam er keine Antwort. »Was ist dort draußen passiert?«, fragte Urd stattdessen.
Thor fuhr auf der Stelle herum und wollte aus der Kammer stürmen, doch Urd hielt ihn mit einer raschen Bewegung zurück oder versuchte es wenigstens.
Thor bedauerte die Bewegung schon, bevor er sie ganz zu Ende geführt hatte, aber er riss sich trotzdem so hart los, dass sie einen hastigen halben Ausfallschritt zur Seite machen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Irritiert und mehr als nur
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