freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
Bewegung war etwas so … Beherrschendes , dass Thor sich nur noch alarmierter fühlte. Macht umgab diese Frau, und das in einem Ausmaß, dass man sie fast mit Händen greifen konnte.
Die Einzige, die das entweder nicht spürte oder der es egal war, schien Nele zu sein. Sie verwandte noch gerade genug Zeit darauf, ihren Mann niederzustarren, um ihm ein wirklich ungutes Gefühl zu verpassen, was den Rest dieses Tages anging und drehte sich dann zu Sigislind, um fragend die Augenbrauen hochzuziehen.
»Das alles ist sicher nicht mehr als ein Missverständnis«, sagte Sigislind. »Ich bin sicher, dass sich alles aufklären wird, sobald Sverig zurück ist.«
»Sverig?«
Sverig kam in diesem Augenblick zurück, als hätte er draußen vor der Tür gestanden und nur auf dieses Stichwort gewartet.
Er war nicht allein, und er wäre auch nicht er gewesen, hätte er den beiden Männern, die hinter ihm eintraten, mit mehr als ungeduldigen Blicken dabei geholfen, ihre Last zu tragen. Sie war schwer, ungefähr so groß wie ein Mensch und in eine zerschlissene Decke eingehüllt, und vermutlich waren Nele und Urd die Einzigen hier drinnen, die nicht ahnten, woraus sie bestand.
»Legt sie dorthin.« Sverig machte eine Handbewegung auf den Tisch, und Nele setzte zu einer vermutlich alles andere als versöhnlichen Bemerkung an. Bjorn war mit einem einzigen Schritt neben ihr und legte ihr die Hand auf den Arm, um siezum Schweigen zu bringen, und wahrscheinlich war sie einfach zu verdutzt, um überhaupt noch etwas zu sagen. Und wenn nicht, dann ging ihr Protest wahrscheinlich in dem Poltern unter, mit dem die beiden Männer ihre Last auf dem Tisch abluden.
»Es wäre einfacher gewesen, zu fragen«, sagte Thor. Das Zerren und Reißen an seinen Gedanken war immer noch da; leiser, subtiler und verführerischer denn je. Gewalttätigkeit erfüllte ihn. Das Bedürfnis – nein: der Zwang –, etwas zu packen und mit bloßen Händen zu zermalmen. Es kostete ihn schier übermenschliche Kraft, ihm zu widerstehen.
Sverig schlug die Decke zurück, und Nele gab einen kleinen, erschrockenen Schrei von sich und hob dann die Hand vor den Mund, um ihn zu ersticken.
Es war die tote Kriegerin, die die Männer gebracht hatten. Sie hatten sie ihrer Rüstung und aller übrigen Kleidung entledigt, sodass Thor erkennen konnte, dass sich ihre unheimliche Ähnlichkeit mit Urd nicht nur auf das Gesicht beschränkte – in dem sie trotz der schrecklichen Verletzungen, die sie erlitten hatte, noch deutlich zu erkennen war –, sondern ihre gesamte Erscheinung betraf. Sie war vom selben schlanken und doch kräftigen Wuchs, langgliedrig und gestählt statt untersetzt und an ein Leben in Kälte und nicht endenden Entbehrungen angepasst, wie die Menschen in diesem Teil der Welt es waren. Ihre Brüste waren kleiner und ein wenig höher angesetzt, aber fest, die Hüften nicht ganz so ausladend und ihre Beine deutlich länger als die der Frauen hier und die Haut etwas heller. Ihr Haar war kurz geschnitten und vermutlich sogar ausgedünnt, um besser unter den Helm zu passen, statt zu zwei dicken Zöpfen geflochten, wie das Urds, war aber trotzdem eindeutig dasselbe, und auch ihre Lippen hatten den gleichen sinnlichen Schwung – oder hätten ihn gehabt, wären sie nicht geschwollen und mit verkrustetem Blut verklebt und im Tod zu einem hässlich hellen Blaugrau verblasst. Sie war Urd, selbst noch im Tod.
Nele war die Erste, die ihre Überraschung überwand. Miteinem einzigen Schritt war sie ganz am Tisch und schlug die Decke wieder über die Tote, um deren Blöße zu bedecken.
»Was fällt euch ein?«, herrschte sie Sverig und die beiden Männer neben ihm an. »Habt ihr denn gar kein Schamgefühl?«
Niemand antwortete. Der Mann rechts neben Sverig senkte den Blick, während Sverig selbst nur eine verächtliche Grimasse zog. Aus dem Kratzen und Schaben in Thors Gedanken war längst ein Reißen geworden, ein lautloser Schrei, der es ihm fast unmöglich machte, weiter stillzustehen.
Es war jedoch Sigislind, die schließlich aufstand und um den Tisch herumging, um die Decke abermals zurückzuschlagen; diesmal allerdings nur gerade weit genug, dass Gesicht und Schultern der Toten zum Vorschein kamen.
»Nun, Urd«, sagte sie ruhig. »Hast du uns irgendetwas zu sagen?«
»Ich wüsste nicht, was«, antwortete Urd trotzig. »Ich habe diese Frau noch nie gesehen.«
»Das mag sogar stimmen«, sagte Sigislind. »Aber du wirst jetzt meine Frage beantworten. Woher
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