freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
einer kleinen, halb verschneiten Waldlichtung befand. Dichtes Unterholz wucherte zwischen den eng beieinander stehenden Bäumen, und Thor nahm wenigstens etwas von dem zurück, was er über den Leichtsinn des Feuers gedacht hatte.
»Wie lange … sind wir unterwegs?«, brachte er mühsam hervor. Seine Zunge fühlte sich so angeschwollen und pelzig im Mund an, als hätte er versucht, eine besonders fette Spinne zu verschlucken. Bevor Elenia antwortete, ging sie noch einmal um das Feuer herum und kam mit einem halb gefüllten Schlauch zurück, den sie ihm reichte. Das Wasser darin war schal und lauwarm. Trotzdem trank er in gierigen Zügen und bedankte sich mit einem Lächeln bei Elenia, bei dem ihre Augen aufleuchteten.
Sie stand auf und trug den Schlauch zu den Pferden zurück, die auf der anderen Seite der Lichtung angebunden waren. Thor nutzte die Zeit, um seinen Augen Gelegenheit zu geben, ihre Schärfe zurückgewinnen.
Elenia wandte ihm die unversehrte Seite ihres Gesichts zu, als sie zurückkam, und erneut fiel ihm die schon fast unheimliche Ähnlichkeit zwischen dem Mädchen und seiner Mutter auf. Selbst ihre Art, sich zu bewegen, war gleich.
»Etliche Stunden«, sagte sie, nachdem sie sich mit untergeschlagenen Beinen so neben ihn in den Schnee gesetzt hatte, dass er auch jetzt wieder die unversehrte Seite ihres schönen Profils vor Augen hatte. »Du hast gefragt, wie lange wir unterwegs sind«, fuhr sie fort. »Seit etlichen Stunden. Wenn es in diesem Land einen Sonnenaufgang gäbe, dann wäre jetzt Mittag. Mindestens.« Seine nächste Frage nahm sie vorweg. »Niemand ist uns gefolgt.«
»Und selbst wenn, hätten wir ja nichts zu befürchten«, fügte Lif hinzu. »Wo wir doch einen leibhaftigen Gott bei uns haben, der es mit einem ganzen Dutzend Krieger auf einmal aufnehmen kann, nicht wahr?«
Im Moment war Thor nicht einmal davon überzeugt, dass er es mit Lif aufnehmen konnte, aber er hatte nicht vor, es auszuprobieren. Nicht einmal mit Worten. Er schwieg.
Auch Elenia sagte eine ganze Weile gar nichts, sondern sah ihn nur auf eine erwartungsvolle Art an, die Thor nicht deuten konnte. Schließlich räusperte sie sich und fragte: »Möchtest du noch Wasser? Oder etwas zu essen?«
Thor war hungrig, schüttelte aber trotzdem den Kopf, undwieder verging eine kleine Weile, bevor sie sich abermals und noch gekünstelter räusperte.
»Das, was … Sverig gesagt hat«, begann sie unbehaglich. »Es ist wahr.«
»Was meinst du?«, fragte Thor.
»Das alles hier ist meine Schuld«, beharrte Elenia. »Sie … sie jagen uns, weil ich ihnen alles verraten habe. Wenn ich ihnen nicht gesagt hätte, woher wir kommen und wer … wer Mutter ist …«
»War«, verbesserte sie Thor. »Sie hat dieses Leben hinter sich gelassen, um euch zu beschützen, Elenia, deinen Bruder und dich. Hat sie euch das auch erzählt?«
Elenia sah ihn nur aus großen Augen an, in denen mühsam zurückgehaltene Tränen schimmerten. Sie brachte nicht einmal die Kraft für diese kleine Bewegung auf, aber Thor spürte ihr Kopfschütteln.
»Und es ist sehr lange her«, fuhr er fort.
»Trotzdem war sie eine Lichtbringerin«, sagte Elenia.
»Manchmal ändern sich Menschen«, erwiderte Thor. »Vertraust du mir?«
»Ja.«
»Dann solltest du auch deiner Mutter trauen –«
»Aber das tue ich doch!«
»– und ihr und mir einfach glauben, dass wir dir vertrauen«, fuhr Thor unbeeindruckt fort. »Glaub mir, alles wäre ganz genauso gekommen, wenn du Sverigs Fragen nicht beantwortet hättest. Davon abgesehen«, fügte er mit einem Schulterzucken hinzu, »wussten sie es sowieso schon.«
»Von Sigislind«, vermutete Elenia.
Thor nickte.
»Hast du sie deshalb getötet?«, fragte Elenia.
»Nein.« Thor blickte einen Moment lang an ihr vorbei ins Leere. Woher wusste sie, das Sigislind tot war? Hatte Urd es ihr erzählt, oder war es nur eine Vermutung von ihr? Vielleicht sollte er ihnen die Wahrheit sagen, dachte er. War er es ihr und ihrem Bruder nicht schuldig? Doch er schüttelte nur den Kopfund sagte noch einmal: »Nein. Es war ein Unfall. Und es tut mir wirklich leid.«
»Weil du ja nie jemanden töten würdest, wenn du es vermeiden kannst, nicht wahr?«, sagte Lif höhnisch.
Das war genug, fand Thor. Lif war ein Knabe und hatte vielleicht das Recht, ein wenig aufbrausend zu sein, aber keiner von ihnen wusste, was in der nächsten Stunde geschah, und der nächste Fehler, den Lif beging, mochte ihr letzter sein.
»Lif«, begann er,
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