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freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman

Titel: freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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das es gebar und das all die Menschen seines Volkes und noch so viele mehr ernährte. Er hatte den warmen Wind auf dem Gesicht gespürt, das Lachen der Kinder gehört und den Ruf der Hörner, die die Menschen zum Gebet oder einfach einem geselligen Beisammensein riefen, nicht zur Schlacht, wie heute.
    Damals waren es Bauern und Händler gewesen, die über das Land schritten, spielende Kinder und glückliche Frauen.
    Als er sich nun umwandte, da waren es Krieger, gepanzerte Gestalten in Schwarz und Gold, in endlosen Reihen aufmarschiert, fast so zahlreich wie die Ähren, die früher hier gestanden hatten. Unter ihren Füßen war nur noch harter Fels, in dessen Rissen und Vertiefungen sich schmutziges Wasser gesammelt hatte, und ein leichter Geruch nach Salz und Tod lag über dem Land. Der niemals endende Winter hatte das Leben schon lange aus diesem Teil der Welt vertrieben und die Stürme die fruchtbare Krume fortgetragen, bis nur noch vergifteter Fels da war, wo einst ein ganzes Volk gelebt hatte. Nie wieder würde das Leben an diesen Ort zurückkehren.
    Was hatten sie getan? Womit hatten sie die Nornen herausgefordert – die wahren Herren des Spinnrads, auf dem die Schicksalsfäden der Menschen gesponnen wurden, und die selbst über die Götter herrschten –, dass sie sich so grausam rächten, und das nicht nur an ihnen, sondern auch an denen, über die sie wachten und die am wenigsten Schuld an alledem trugen?
    Das Horn klagte, nicht zum ersten Mal. Es wurde Zeit. All diese Männer, all dieses tödlich geschliffene Eisen und diese grimmige Entschlossenheit warteten nur noch auf ihn.
    Aber er wollte diesen Krieg nicht.
    Er hatte ihn nie gewollt, und tief in sich spürte er, dass auch all die anderen ihn nicht wollten, weder die gerüsteten Krieger hinter ihm, von denen so viele ihr Leben lassen würden, noch seine Brüder und auch nicht sein Vater.
    »Es wird Zeit, Bruder.«
    Unendlich viel langsamer als notwendig drehte er sich abermals herum und sah in ein Gesicht aus Eisen und Gold hinauf.
    »Ich weiß«, sagte er. Seine Hand senkte sich auf den Stiel der heiligen Waffe an seinem Gürtel, und …
    Thor schrak so heftig aus seinem Traum hoch, dass er um ein Haar den Halt verloren hätte und aus dem Sattel gestürzt wäre. Ganz instinktiv klammerte er sich fest und fand sein Gleichgewicht wieder, aber was er sah, erfüllte ihn im ersten Moment nur mit Verständnislosigkeit: Schwarzer Fels hatte nicht minder ödem Weiß Platz gemacht, und der Wind war schneidender und kälter geworden und roch jetzt nicht mehr nach Salz und Leere, sondern nach Schnee. Keine Sonne stand über ihm, sondern es gab nur ein allumfassendes Grau, das im Osten vielleicht eine Spur heller war, und am meisten erschreckte ihn vielleicht der Anblick seiner Hände, die nicht mehr gerüstet waren. Die Linke war nackt und umklammerte das rissig gewordene Leder eines schäbigen Zügels, die rechte steckte in einer Panzerfaust aus schmutzigem Stoff, den eingetrocknetes Blut hart gemacht hatte. Sie tat weh, ein Schmerz, der sich in klopfenden Wellen bis in seine Schulter hinaufzog.
    »Ist alles wieder in Ordnung?«
    Thor erinnerte sich nicht, dass irgendetwas nicht in Ordnung gewesen wäre. Er erinnerte sich auch nicht an die Stimme, wusste nicht, wo er war oder gar wer er war. Aber dann drehte er mühsam den Kopf und blickte in ein schmales, von zwei dicken goldfarbenen Zöpfen eingerahmtes Gesicht, und seine Erinnerungen kamen endgültig zurück, auch wenn diese Rückkehr von einem intensiven Gefühl des Verlustes begleitet wurde. Da war so unendlich viel, woran er sich nicht erinnerte; ein ganzes Leben, das vielleicht für immer verloren war.
    »Wie lange sind wir schon unterwegs?«, fragte er.
    »Ein paar Stunden«, antwortete sie, aber natürlich spürte er, dass das gelogen war. Sie waren seit vielen Stunden unterwegs, das verrieten ihm allein sein schmerzender Rücken und die Art, auf die seine Muskeln vom langen Sitzen im Sattel verkrampft waren.
    »Du hättest mich wecken sollen«, sagte er.
    »Wieso?«, fragte Urd. »Wären wir dann schneller gewesen?«
    Statt zu antworten, drehte sich Thor im Sattel herum und sah in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Schnee, so weit das Auge reichte, nur durchbrochen von der schnurgeraden Spur, die ihre Pferde darin hinterlassen hatten. In einer Entfernung, die unmöglich zu bestimmen war, schienen sich vage Umrisse zu bewegen; vielleicht Wälder, vielleicht von Menschen erschaffene

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