freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
dass sie sich nicht zu weit entfernte, ging dann zu Urd hin und ließ sich neben ihr in die Hocke sinken. Urd saß auf einem Stein, hatte die Finger im Schoß verschränkt und starrte ins Leere. Sie sah sehr müde aus, auf eine Weise, die weit über bloße körperliche Erschöpfung hinausging. Thor fragte sich, warum er sie nicht einfach in die Arme nahm, und fand keine Antwort auf diese Frage, tat es aber dennnoch nicht. Diese Flucht begann allmählich auch alles zu zerstören, was noch zwischen ihnen war. Und dabei dauerte sie erst wenige Tage. Was, wenn sie noch Wochen andauerte oder gar Monate … oder niemals endete?
»Ich mache uns ein Feuer«, verkündete Elenia plötzlich. Thor nickte nur wortlos. Auch wenn der heraufziehende Tag die grimmigste Kälte vertrieben hatte, blieb es doch kalt, und nun, wo sie nicht mehr in Bewegung waren, machten sich die niedrigen Temperaturen empfindlich bemerkbar. Thor fragte sich, ob er überhaupt jemals wieder einen Tag erleben würde, an dem er seinen eigenen Atem nicht als grauen Dampf vor dem Gesicht sah.
Aber er spürte auch, wohin Gedanken wie dieser führten, und verscheuchte ihn hastig.
Eine Zeit lang sah er schweigend zu, wie Elenia den Großteil ihres mitgebrachten Vorrats an halbwegs trockenem Holz zu einer kleinen Pyramide schichtete und sich dann vergeblich abmühte, ein Feuer zu entzünden, bevor er sich schließlich erbarmte und ihr half. Das Feuer brannte weder besonders hoch, noch verbreitete es nennenswerte Wärme, aber er verzichtete darauf, eine entsprechende Bemerkung zu machen. Elenia hatte einfach das Bedürfnis gehabt, irgendetwas zu tun.
»Das ist unser letztes Holz«, sagte Urd, als er zu ihr zurückging; leise, aber nicht leise genug, dass ihre Tochter es nicht hörte. In ihrer Stimme war nicht einmal eine Spur von Vorwurf, aber Thor war sicher, dass Elenia ihn schon hineininterpretieren würde. Er sagte nichts.
»Wenn Lif zurück ist«, begann Urd, brach dann mit einem scharfen Zischlaut ab und presste die flache Hand auf den Leib. Thor war mit einem einzigen schnellen Schritt bei ihr, doch Urd schüttelte nur hastig den Kopf und machte zugleich eine so heftig abwehrende Geste, dass er mitten in der Bewegung innehielt. Er war alarmiert, aber auch ein bisschen verletzt, fühlte er sich doch nicht zum ersten Mal von ihr zurückgewiesen.
»Ist alles –«
»Ja, es ist alles in Ordnung«, unterbrach ihn Urd, noch bevor er überhaupt zu Ende sprechen konnte. Das Zucken ihrer Mundwinkel behauptete etwas anderes. »Es ist ganz ohne Zweifel dein Sohn. Er meldet sich nachdrücklich, wenn er etwas will.«
»Und was will er jetzt?«
»Eine warme Mahlzeit?«, fragte Urd. »Ein richtiges Feuer in einem Kamin und ein Bett, um eine Woche lang dann zu schlafen?« Sie schien einen Moment lang zu grübeln, ob ihr noch mehr einfiel, schüttelte dann den Kopf und verbesserte sich: »Nein, das ist wohl eher das, was seine Mutter will. Deinem Sohn würde es wahrscheinlich schon reichen, wenn ich etwas weniger reiten würde.«
»Wir können eine Weile hierbleiben«, sagte Thor.
»Hier?« Urd maß das unheimliche Bauwerk in ihrem Rücken mit einem langen, demonstrativen Blick. »Und selbst wenn, wie lange sollen wir bleiben?«
»Bis du dich besser fühlst.«
»In zwei Monaten oder drei?« Urd machte ein spöttisches Gesicht. »Es wird erst noch schlimmer, bevor es besser wird, fürchte ich.«
»Ist mit dem Kind alles in Ordnung?«, fragte Thor besorgt.
»Ja«, antwortete sie. »Und mit seiner Mutter auch, danke für deine Besorgnis. Auch wenn mir dein Sohn mehr zu schaffen macht als Elenia und Lif zusammen.«
»Vielleicht werden es ja auch zwei«, versuchte Thor zu scherzen.
Urd machte ein entsetztes Gesicht. »Die Götter beschützen mich davor! Drei von euch ertrage ich bestimmt nicht!«
Thor lachte pflichtschuldig, aber er blieb besorgt. Urd hatte während ihrer gesamten Flucht keinen Laut der Klage von sich gegeben, was aber wohl eher bewies, wie tapfer sie war, nicht, dass es wirklich keinen Grund zur Sorge gegeben hätte. Vielleicht sollten sie tatsächlich hierbleiben, bis sie sich wenigstens etwas erholt hatte.
»Wir schlafen hier, und morgen folgen wir der Küste nach Süden«, sagte Urd, als hätte sie seine Gedanken gelesen. »Früher oder später werden wir schon auf Menschen stoßen. Es gibt an jeder Küste Menschen.«
Und dann? , dachte Thor. Bisher waren sie Menschen ganz bewusst aus dem Weg gegangen, und das mit gutem Grund. Aber sie
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