freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
sich zu Urd herum und begriff erst einen Moment später, dass er die Worte laut ausgesprochen hatte.
»Wenn du mir etwas sagen willst …«
Thor versuchte mit aller Gewalt, die Erinnerung herbeizuzwingen, aber natürlich erreichte er damit nur das genaue Gegenteil. Er schüttelte nur den Kopf.
»Dann sollten wir gehen«, sagte sie enttäuscht. »Lif ist zurück. Er hatte Erfolg auf der Jagd. Es gibt frischen Fuchs.«
Thor sagte gar nichts dazu, sondern drehte sich nur noch einmal herum und sah auf das Meer hinab. Was er gesehen hatte, war mehr als ein Traum gewesen, viel mehr. Ganz plötzlich hatte er Angst. Mit einem Ruck wandte er sich um und ging so schnell an Urd vorbei, dass sie Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten.
In deutlich größerem Abstand, als nötig gewesen wäre, ginger um die zusammengebrochene Tafel herum und eilte die Treppe hinunter.
Erst unten in der großen Halle holte sie ihn wieder ein und versuchte ihn anzusprechen, doch Thor beschleunigte seine Schritte nur noch einmal, sodass sie nun schon fast rennen müsste, um nicht erneut zurückzufallen.
Als sie an der großen Treppe vorbeikamen, suchte er nach den Wolfsstatuen, doch es war wie oben in Odins Saal: Wo die gewaltigen Figuren gestanden hatten, erblickte er jetzt nur noch Schutt, die Trümmer eines Jahrhunderts, wenn nicht Jahrtausends. Das Gefühl des Verlustes wurde übermächtig und schnürte ihm jetzt schier die Kehle zu. Es waren nicht nur der Verfall und das Alter. Was ihm zusetzte, war das Wissen, dass all das hier, dieser erbärmliche Schatten einstiger Größe nicht mehr war als eben genau das: nicht einmal wirklich ein Schatten, sondern allenfalls die Idee von etwas, das einmal gewesen war.
Noch einmal schneller werdend steuerte er den Ausgang an, doch jetzt beschleunigte auch Urd ihre Schritte und vertrat ihm den Weg. »Was war da oben los?«, fragte sie. Ihre Stimme klang ehrlich besorgt, aber auch in zunehmendem Maße ungeduldig, und er meinte auch eine ganz sachte Spur von Ärger herauszuhören.
»Nichts«, antwortete er, spürte mehr, als er sah, wie ihre Stimmung noch weiter kippte und fügte hastig hinzu. »Oder doch. Aber ich … ich weiß nicht, was es bedeutet.«
Womit sie sich natürlich nicht zufrieden gab. »Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann tu es!«, herrschte sie ihn an. »Jetzt! Was hast du gesehen?«
»Gar nichts«, beharrte Thor und versuchte seinen Arm loszureißen. »Mir muss wohl übel geworden sein. Vielleicht habe ich mich doch noch nicht so weit erholt, wie ich dachte.«
»Unsinn!«, fauchte Urd. Sie hielt seine Hand weiter fest, gestikulierte aber aufgebracht mit der anderen. »Du willst dich nur ein bisschen umsehen, um zu wissen, was in deinem Rücken ist, und verschwindest dann für geschlagene zwei Stunden, und als ich nach dir suche, finde ich dich als wimmerndes Bündel,das Worte in einer Sprache stammelt, die ich noch nie gehört habe? Und das ist nichts?«
»Nein«, antwortete Thor. »Ich meine: Nein, es ist natürlich nicht nichts.« Sehr sanft machte er sich nun doch los und versuchte den Arm um ihre Schultern zu legen, doch sie wich ihm mit einer so schroffen Bewegung aus, dass er es nicht noch einmal versuchte. Hinter ihm bewegten sich Schatten in der Dämmerung, Dinge begannen auf ihn zuzukriechen. »Dort oben … ist etwas«, sagte er. »Dieser Ort macht mir Angst. Ich habe das Gefühl, ihn zu kennen.«
»Du warst schon einmal hier?« Urds Zorn machte von einem Lidschlag zum nächsten hellwachem Interesse Platz. »Du meinst, du beginnst dich zu erinnern?«
»Nein«, antwortete Thor. »Nicht hier. An einem Ort wie diesem.« Vielleicht dem, zu dem er werden würde.
Urd sah einen Moment lang an den schwarzen Wänden hinauf, und für die gleiche Zeit war es ihm, als lösten sich die Schatten aus dem schwarzen Stein, um sich nun auch auf ihrem Gesicht auszubreiten. »Es heißt, diese Türme wären älter als die Welt«, sagte sie. »Wenn du sie wirklich in einem anderen Zustand als so erlebt hast, dann scheinst du mir etwas verschwiegen zu haben.«
»Ich meine es ernst«, sagte Thor.
Aber dasselbe galt auch für sie, begriff er plötzlich. Urds vermeintlicher Spott war nur ihre Art, des Unbehagens Herr zu werden, mit dem sie dieser Ort erfüllte. Sie spürte es auch. »Wenn das wirklich so ist«, sagte sie, »dann sollten wir versuchen, es herauszufinden. Vielleicht erinnert dich diese Ruine ja an deine Heimat.« Sie dachte einen Atemzug nach. Dann: »Wir können noch
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