freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
anderes.«
»Wie du sagst: Er ist ein Junge.«
»Es war kein schöner Anblick«, fuhr Bjorn fort. Er begann das Tuch zurückzuschlagen. »Sie sahen aus, als wären sie von wilden Tieren zerrissen worden.«
»Es gibt Wölfe dort draußen.«
»Wölfe?«
»Sie haben Elenia verletzt und ihren Vater beinahe getötet.«
»Aber umgebracht hat ihn am Ende einer dieser Krieger.«
»Was wird das?«, fragte Thor scharf. »Ein Verhör? Wenn du mir nicht traust, dann sag es doch einfach!«
»Mutig bist du auch noch?« Bjorn schlug das Tuch vollends zurück. Darunter kam ein mächtiges Bastardschwert mit reich verziertem Griff zum Vorschein. Bjorn maß die Waffe einen Moment lang mit genau den bewundernden Blicken, die einem solchen Prachtstück zustanden, dann drehte er sie herum und hielt sie ihm mit dem Griff voran hin.
Thor rührte keinen Finger, um danach zu greifen. »Was soll ich damit?«
»Ich würde sagen, es ist so etwas wie … dein Anteil?«, schlug Bjorn vor. »Nach dem, was du dort draußen getan hast, steht dir mehr als das zu. Waffen wie diese sind ungemein kostbar. Und nur keine Sorge – die anderen haben wir natürlich auch mitgenommen.«
»Ich mag keine Schwerter«, antwortete Thor.
»Oh ja, das hatte ich vergessen … du hast es ja mehr mit Hämmern, nicht?« Bjorn hielt ihm die prachtvolle Klinge noch einen Atemzug lang hin, zuckte dann mit den Schultern und begann die Waffe wieder in das Tuch einzuschlagen. Er verstaute sie wieder in der Truhe, und Thor stellte sich fast beiläufig die Frage, was wohl geschehen wäre, hätte er tatsächlich nach dem Schwert gegriffen.
»Du willst mich auf die Probe stellen«, sagte er. »Warum?«
»Weil ich nicht schlau aus dir werde, Thor«, antwortete derbärtige Krieger. »Einen Mann wie dich könnten wir gebrauchen, mein Freund. Aber ich bin nicht sicher, ob ich nicht besser daran täte, dir zu misstrauen. Oder dich gleich zu töten … aber das kann ich ja gar nicht, wenn du wirklich das bist, wofür dich der Junge und seine Mutter halten, nicht wahr?«
»Urd?« Es war das zweite Mal, dass Bjorn sie in diesem Zusammenhang erwähnte. »Was habt ihr mit ihr gemacht?«
»Es geht ihr gut, wenn das deine Sorge ist«, antwortete Bjorn, vielleicht eine Spur zu schnell. »Sie hat bereits Freunde im Dorf gefunden.«
»Das will ich hoffen. Für dich.« Vielleicht hätte er das Schwert nehmen sollen. Nicht dass es ihm wirklich etwas genutzt hätte, ganz allein wie er war, aber er hätte sich einfach wohler gefühlt, mit einer Waffe am Gürtel.
»Möchtest du sie sehen?« Bjorn wartete seine Antwort gar nicht ab, sondern wandte sich bereits zur Tür. »Warte einen Moment.«
Er ging. Nachdem er das Zimmer verlassen hatte, wartete Thor auf das Geräusch eines Riegels, der vorgelegt wurde. Es kam zwar nicht, aber er war sicher, dass draussen vor der Tür eine Wache postiert war, vermutlich sogar mehr als eine. Er war ein Gefangener, ganz gleich, was Bjorn auch behauptete. Und er konnte ihn sogar verstehen.
Thor nutzte die Zeit, um sich in der kleinen Kammer umzusehen. Der Raum musste in dem einzelnen, wuchtigen Turm der Festung liegen, denn als er an das schmale Fenster trat, konnte er nicht nur einen Großteil des Tales überblicken, sondern auch die Festungsanlage selbst; wenn man sie denn so nennen wollte – im Grunde bestand sie aus nicht viel mehr als eben diesem Turm, einem genauso wuchtigen Nebengebäude mit einem Dach aus dünnen Steinplatten und einer Mauer, die die Lücken dazwischen schloss und so einen asymmetrischen Hof bildete.
Umso spektakulärer war der Ausblick, der sich ihm dahinter bot. Anders als am Tag ihrer Ankunft bewegten sich nun Menschen auf den verschneiten Flächen, und hier und da glaubte erauch Vieh zu sehen, auch wenn er sich beim besten Willen nicht verstellen konnte, was Rinder oder Schafe bei dieser Witterung dort taten. Immerhin war ihm klar, dass er nicht nur eine natürliche Festung sah, sondern auch ein funktionierendes Gemeinwesen, das sich hier in den Bergen verbarg.
Midgard …
Er hatte nicht vergessen, wie Urd auf den Klang dieses Namens reagiert hatte, und auch in ihm selbst hatte das Wort etwas ausgelöst, auch wenn er nicht genau sagen konnte, was. Eine weitere verschüttete Erinnerung, die hinauswollte. Aber es erging ihm mit diesem Wort so wie mit diesem ganzen Land, rnöglicherweise der gesamten Welt , in der er erwacht war: Etwas daran war falsch, so als sähe er etwas, was es nicht geben durfte.
Die Tür
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