Freibeuter der Leidenschaft
Und wie geht es Lord Harrington?“
„Papa geht es gut. Er ist in Stockholm, um ein paar Geschäfte zu erledigen. Ich vermisse ihn, wenn er auf Reisen ist“,sagte sie wahrheitsgemäß.Tatsächlich war sie sehr einsam gewesen, bis Bess und Felicia gekommen waren. Dann überdachte sie das noch einmal. Jeden Tag kamen Besucher, und sie war zu höflich, um jemanden fortzuschicken, doch kein Gespräch konnte ihr das Gefühl grenzenloser Einsamkeit nehmen. Mit der Zeit wurde das Gefühl schlimmer. Manchmal betrachtete sie die Menschen in einem überfüllten Salon und hatte den Eindruck, neben sich zu stehen, alle zu beobachten und niemanden zu kennen, nicht einmal sich selbst. Selbst wenn ihr Vater zurückkehrte, änderte das nicht das Gefühl, eine einsame Insel zu sein – so glücklich sie auch war, ihn zu sehen.
Aber hatte sie nicht so ein Leben gewollt? Ein Wort von ihr genügte, und ihr Vater würde eine Ehe für sie arrangieren. Blanche erschauerte. Sie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als einen völlig Fremden zu heiraten und ein ganzes Leben mit ihm verbringen zu müssen.
„Ich freue mich, dass es ihm gut geht“, sagte die Countess. „Hast du die Neuigkeiten schon gehört? Mein Sohn Clive ist in der Stadt, und er hat ein Mündel.“
Blanche fuhr auf. „Clive hat ein Mündel? Wie kam es dazu?“ Er sah zu gut aus und war ein zu großer Schürzenjäger, um ein Mündel zu haben, aber das hätte sie niemals ausgesprochen.
„Er kannte ihren Vater, einen Pflanzer auf den Inseln, der kürzlich verstorben ist. Amandas Mutter starb im Kindbett, und er hat sie hergebracht in der Hoffnung, sie mit der Familie ihrer Mutter zusammenzubringen. Bloß wie es scheint, ist das unmöglich.“
„Oh, wie schrecklich!“, sagte Blanche und meinte das auch so. „Wie kann ich helfen?“
Mary legte eine Hand auf ihren Arm. „Du bist so ein Schatz. Wir haben gehofft, du würdest uns empfangen. Es wäre Amandas erster Besuch.“
Blanche begriff nicht.
„Wir hoffen, sie auf dem Ball bei den Carringtons in die Gesellschaft einzuführen, aber der Vater war etwas ungehobelt, und sie wurde recht ungewöhnlich erzogen. Sie ist eine reizende, bildschöne junge Frau, einzig ihre Erziehung lässt einiges zu wünschen übrig.“
Blanche verstand sofort. „Mary, ich würde mich freuen, wenn du Amanda hierher bringst, und ich werde dafür sorgen, dass alles gut geht, was auch geschieht. Wenn du es möchtest, helfe ich auch bei ihrem Debüt.“
„Danke!“, sagte Mary erleichtert. „Für Clive ist das sehr wichtig, und für Miss Carre natürlich auch. Wir sind sehr dankbar für deine Hilfe.“
„Es ist mir ein Vergnügen“, sagte Blanche. Sie warf noch einen Blick in den Salon und sah überrascht, wie Rex ein wenig steif für sich stand, während Felicia gelangweilt auf dem Sofa saß. Offenbar war Rex de Warenne nicht interessiert, ihre Freundin als Geliebte zu nehmen.
Es ging sie zwar nichts an, aber dennoch war sie erleichtert.
13. Kapitel
Clive beherrschte sich, selbst wenn er am liebsten auf und ab gelaufen wäre. Die gesamte Familie hatte sich im Salon versammelt, vor dem Essen, alle außer Amanda und seiner Schwester. Er wusste nicht, was sie aufhielt, aber da er Eleanor kannte – und auch Amanda – begann er sich wegen dieses wagemutigen Paares Sorgen zu machen. Den ganzen Tag lang hatte er an ihr Gespräch am frühen Morgen denken müssen, und tief in seinem Herzen fühlte er sich schlecht.
Ich hasse Sie jetzt und wünschte, wir wären uns nie begegnet.
Er wusste nicht, was er tun könnte, wenn Amanda ihn wirklich verachtete. Er konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass sie wünschte, sie wären einander nie begegnet. Sie war ihm so wichtig geworden. Aber sie hatte die Worte doch bestimmt nicht ernst gemeint, oder? Zorn und Schmerz hatten aus ihr gesprochen, und er konnte ihr keinen Vorwurf deswegen machen.
Die Kinder waren bei ihnen. Sie hatten bereits im Kinderzimmer gegessen und bereiteten sich auf einen ruhigen Abend im Obergeschoss vor. Michael, Seans Stiefsohn aus einer früheren Ehe, und Ned, das älteste Kind von Lizzie und Tyrell, waren zusammen mit Alexi auf der Terrasse, wo sie eine sehr laute und ernsthafte Diskussion führten. Da sie eine Steinschleuder bei sich hatten, hätten sie beaufsichtigt werden müssen, aber Anahid war nirgends zu sehen. Ariella saß auf dem Boden und las Eleanors Sohn Rogan vor, einem Einjährigen mit hellblondem Haar und den grauen Augen der O’Neills.
Weitere Kostenlose Bücher