Freibeuter der Leidenschaft
gesehen. Gewöhnlich sind seine Affären nur von kurzer Dauer, und er hat noch nie eine Frau nach Hause gebracht.“
Amanda schlang die Arme um ihre Taille. Sie war nicht sicher, ob sie mit Eleanor O’Neill ein so persönliches Gespräch führen wollte. „Ich bin nicht so dumm, an eine Heirat mit deinem Bruder zu denken. Er tut recht daran, eine Heirat für mich zu arrangieren. Sonst bliebe mir nur die Möglichkeit, auf die Inseln zurückzukehren, und so gern ich auch segle und das Meer liebe, das will ich nicht.“
Eleanor drückte ihre Hand. „Du bist so tapfer.“
Jetzt bewegten sie sich auf sichererem Terrain. „Tapfer? Ich bin nicht tapfer. Tapfer ist es, monatelang allein zu sein und nicht zu wissen, woher die nächste Mahlzeit kommen soll. Tapfer ist es, die Schiffe einlaufen zu sehen – und nicht zu wissen, wer noch lebt und wer schon tot ist.“
Eleanor machte große Augen, und Amanda wandte sich ab und wünschte sich, nicht so offen gesprochen zu haben. Viel zu oft hatten Papas Reisen länger gedauert als geplant, und jetzt konnte sie es erkennen: Er hatte nicht gut für sie gesorgt. In den letzten Monaten vor seinem Tod hatte sie in der Bucht angeln müssen, Mangos sammeln und betteln und stehlen müssen, um zu überleben. Einst hatte er auf Zypern im Gefängnis gesessen und war über ein Jahr lang fort gewesen. Zu der Zeit hatte sie gerade dreizehn Jahre gezählt. Sie war allein gewesen, einsam und verängstigt. Und jedes Mal, wenn die Schaluppe im Hafen eingelaufen war, hatte sie Angst gehabt, ihr Vater würde nicht an Deck stehen.
Es gab nichts zu entscheiden. Sie wünschte sich verzweifelt das Leben, das Clive ihr bot. Vielleicht würde zu dem Anwesen, das er ihr kaufen wollte, ein Rosengarten gehören, wenn nicht, konnte sie auch allein einen anpflanzen. Und wenn sie sich auch noch vor der Gesellschaft fürchtete – vielleicht war es gar nicht so schlimm. Clives Familie schließlich war sehr vornehm, und wie freundlich hatte man sie hier aufgenommen! Niemand hatte sie von oben herab angesehen, jedenfalls noch nicht. Vielleicht war die Londoner Gesellschaft nicht so schlimm wie die auf den Inseln. Außerdem war dies hier etwas anders, als in den Straßen von Kingston unterwegs zu sein. Bisher war ihr das noch nicht klar gewesen. Sie würde an Clives Arm debütieren, umringt von seiner eleganten und mächtigen Familie.
Ich kann das, dachte Amanda. Ich muss es tun!
„Kein Wunder“, sagte Eleanor leise, „dass Clive dich so ansieht.“
Amanda hörte sie nicht. Sie ging zum Bett, gefolgt von Eleanor. „Ich brauche nur ein Kleid“, sagte sie langsam. Aber sie nahm die Seide in Koralle und Elfenbein und hielt sie sich zitternd unters Kinn. Der Stoff war so hübsch, so ganz weiblich. Ganz plötzlich wollte sie ihn haben, so wie sie das Nachthemd hatte haben wollen, das sie vergangene Nacht zerfetzt hatte. „Glaubst du, ich werde hübsch darin aussehen?“, fragte sie langsam.
„Du wirst die schönste Frau im Raum sein, und Clive wird es schwerfallen, sein Verlangen zu zügeln“, sagte Eleanor, und ihre Augen glänzten dabei. „Aber du brauchst ein Dutzend Kleider, Amanda. Eines wird nicht genügen.“
Amanda konnte kaum glauben, dass sie wirklich so viele Kleider haben sollte, ebensowenig, wie sie glauben konnte, welche Wendung ihr Leben genommen hatte. Vielleicht war es so besser, als Clive de Warennes Geliebte zu werden. Schließlich hatte sie bisher nie ein eigenes, sicheres Zuhause gehabt. Auf Belle Mer hatten sie kämpfen müssen, damit das Geld reichte, und stets hatte über ihnen die Drohung geschwebt, es verkaufen zu müssen, um die Schulden zu begleichen.
Papa hatte sie angelogen, aber jetzt wäre er sehr glücklich für sie. Er hätte dieses Leben für sie gewollt.
Was Mama betraf, so würden sie einander eines Tages begegnen, dafür würde Amanda sorgen, und dann würde Mama eine elegante Dame sehen mit einem gut aussehenden Gemahl und eigenem Besitz, keine Piratentochter. Nie würde sie erraten, welchen Schmerz sie verursacht hatte. Denn Amanda würde den Kopf stolz erhoben tragen und genauso anmutig lächeln wie die Countess.
Und Clive? Sie würden Freunde sein, vielleicht sogar enge Freunde, und wenn sie ihn vielleicht auch immer lieben würde, so nur aus der Ferne, wie sie ihn schon auf der Insel aus der Ferne bewundert hatte. Irgendwann, so hoffte sie, würde es nicht mehr so wehtun.
Eleanor hielt einen elfenbeinfarbenen Stoff mit rosa Streifen hoch. Amanda sah sie
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