Freibeuter der Leidenschaft
an. „Sag mir, was ich nehmen sollte.“
Lady Harrington, einzige Erbin des großen Harrington-Vermögens, hielt sich in ihrem Salon in Greenwich auf, in ihrem geräumigen Londoner Haus, zusammen mit zwei Besuchern, ihren beiden lieben Freundinnen Lady Bess Waverly und Lady Felicia Capshaw. Sie saß auf einem samtbezogenen Sofa, eine kleine, elegante Frau von fünfundzwanzig Jahren, mit porzellanweißer Haut und auffallend blaugrünen Augen. Ihr helles, beinahe platinblondes Haar war straff zurückgebunden zu einem altmodischen Chignon, aber das entsprach dem schlichten Stil, den sie bevorzugte. Obwohl sie sehr reich war, wirkte ihr dunkelblaues Kleid beinahe trist, und als einzigen Schmuck trug sie zwei kleine Diamanten am Ohr und einen Diamantring: Sie mochte es nicht, mit ihrem Reichtum zu prahlen. Ihre Freundinnen allerdings trugen üppig verzierte weite Röcke, Bess dazu ein schweres Rubinhalsband, ein Geschenk ihres derzeitigen Liebhabers, ein russischer Graf auf der Durchreise, während Felicia mehr Smaragde angelegt hatte, als es einer jungen Witwe angemessen war. Aber ihr kürzlich verstorbener Gemahl hatte ihr ein kleines Vermögen hinterlassen, und sie stellte es zur Schau in der verzweifelten Hoffnung, damit den dritten Ehemann anzulocken.
Und wie es schien, hatte sie bereits einen Kandidaten ins Auge gefasst, einen älteren Earl, ebenfalls zweimal verwitwet. In der vergangenen Woche hatte er bereits viermal vorgesprochen. „Was meinst du, meine Liebe?“, fragte Felicia, eine üppige Brünette, eifrig.
Blanche lächelte die Freundin an. „Soll ich dir sagen, was du hören willst, oder wie ich wirklich darüber denke?“
Felicia setzte sich kerzengerade hin.
Bess lachte. „Sie will deine Zustimmung, Blanche. Gütiger Himmel, wenn wir doch den Schwächen des Lebens gegenüber so gleichmütig sein könnten wie du.“
Blanche lächelte zurückhaltend, nicht gekränkt, aber auch nicht bereit, die Wahrheit mit den Freundinnen zu teilen. Wäre ihr doch nur etwas gelegen an den Launen des Lebens. Sie seufzte. Als sie sechs Jahre alt war, hatte sie miterlebt, wie ihre Mutter von einem wilden Mob ermordet wurde. Weder konnte sie sich daran erinnern noch an irgendetwas, das vorher geschah, aber seither hatte sie alles schweigend hingenommen, was das Leben ihr bot.
„Du magst Lord Robert nicht“, meine Felicia.
Blanche tätschelte ihr die Hand. „Ich mag dich, meine Liebe. Musst du wirklich so schnell wieder heiraten? Kannst du deinen dritten Mann nicht etwas sorgfältiger wählen?“
Felicia wirkte verstimmt. „Ich bin nicht so wie du, Blanche, mit Eis in meinen Adern. Entweder Lord Robert oder einen Geliebten, denn genau wie Bess vermisse ich die Freuden des Ehebetts.“
Blanche war nicht verlegen, die Freundinnen wussten, dass sie noch Jungfrau war. Sie verstanden nicht, warum sie nicht heiraten wollte, und selbst wenn sie ledig blieb, warum sie dann keinen Geliebten nahm. Sie hatte es aufgegeben zu erklären, dass sie sich nicht für Männer interessierte. Ihr Leben auf Harrington Hall war sicher und ruhig, sie kümmerte sich um ihren Vater, und mehr brauchte sie nicht. Kein Mann hatte ihr je Herzklopfen verursacht. Sie hatte auch keine Neigung zu Frauen, ganz und gar nicht, sie war nur wie tot, an Körper und an Seele. „Ich schlage vor, Liebes, dass du dir einen Liebhaber nimmst, wenigstens für eine Weile, aber sei diskret. Und sei diesmal etwas vorsichtiger.“ Ihr zweiter Gemahl war ein ungestümer, wenn auch gut aussehender junger Mann gewesen, der sein Leben verlor, als er mit seinem Vollblut über einen außerordentlich hohen Zaun sprang.
Als Blanche sich Bess zuwandte, die bis über beide Ohren verliebt war in ihren Russen, trotz Lord Waverly und den beiden Kindern, erschien ihr Butler mit einem Silbertablett. „Mylady?“
Blanche erhob sich anmutig und nahm die Karte, die ihr gebracht wurde. Entzückt sah sie, dass die Frau, die beinahe ihre Schwiegermutter geworden wäre, zu Besuch kam. Einst war sie mit Tyrell de Warenne verlobt gewesen, doch keiner von beiden hatte diese Verbindung aufrecht erhalten wollen. Er hatte seine Mätresse geliebt und sie kürzlich geheiratet. Ihr Vater hatte nicht darauf bestanden, dass sie sich erneut verlobte, und endlich erkannt, dass seine Tochter wohl unverheiratet bleiben würde, sehr zu Blanches Erleichterung. Sie war der Countess herzlich zugeneigt und wusste, wie sehr Mary de Warenne sie ebenfalls mochte.
„Wer ist es?“, fragte Bess und
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