Freibeuter der Leidenschaft
verführt. Er hatte immer älter gewirkt, als er eigentlich war, und es hatte viele elegante, schöne adlige Damen gegeben, die älter waren als er und unter denen er wählen konnte. Wenn er die Wahl hatte zwischen einer wilden Blume und einer Treibhausrose, hatte er sich immer für das Letztere entschieden.
Aber sie war ganz anders als alle anderen. Er musste nur daran denken, wie sie mit einer geladenen Pistole nach King’s House gestürmt war oder wie sie auf wogender See am Bug ihres Kanus gestanden hatte, dann wusste er es. Sein Lächeln verschwand, und er dachte an das, was sie im goldenen Salon gesagt hatte. Aber gleich darauf lachte er beinahe, als er sich erinnerte, wie sie Miss Delington aus seinem Haus vertrieben hatte. Schlagartig verwirrten sich seine Gedanken. Clive sprang aus dem Bett, um sich etwas zum Trinken zu holen.
War sie überhaupt noch unschuldig? In jedem Fall wusste sie, was sie ihm anbot. In Anbetracht der Umgebung, in der sie aufgewachsen war, war es nicht sehr wahrscheinlich, dass sie unerfahren war. Warum sonst würde sie ihm so ohne Umschweife ihren Körper anbieten? Natürlich war das nicht ungewöhnlich bei Frauen ohne Macht oder Mittel. Sie hatte sonst nichts anzubieten. Diese Vorstellung ärgerte ihn und machte ihn zugleich unglaublich traurig.
Allmählich beschlich ihn eine dunkle Vorahnung bei dem Gedanken, sie nach England zu bringen.
Er wusste, dass er seine Lust beherrschen und unterdrücken konnte. Es wäre nicht angenehm und auch nicht einfach, aber er war sehr diszipliniert. Und sie war zu jung! Nur daran musste er denken. Da er seinen Aufenthalt zu Hause verkürzt hatte, würde er seine Kinder mitnehmen. Alexi hatte bereits mit ihm die Inseln befahren und verlangte seit einiger Zeit schon nach einem richtigen Segeltörn. Ariella hatte Andeutungen gemacht, und er wusste, dass sie gern ins Ausland reisen und vieles von dem sehen wollte, über das sie gelesen hatte. Er war sich sehr wohl bewusst, dass seine Kinder ihn ablenken würden. Sie würden einen Puffer bilden.
Aber da war noch mehr. Clive setzte sich in der Dunkelheit mit einem Cognac hin. Die Gerüchte besagten, dass Rodney einst in der königlichen Marine gedient hatte. Ob das stimmte? Denn wäre das der Fall, war Amandas Mutter vermutlich von vornehmer Herkunft.
Und das beunruhigte ihn ungemein.
La Sauvage besaß kein Gefühl für Anstand, kein Schamgefühl und kein Benehmen. Stammte ihre Mutter aus guter Familie, würde ihre Begegnung eine Katastrophe werden.
Aber er wollte auch nicht, dass sie herausfand, dass ihre Mutter eine Hure oder eine von Pocken entstellte Bettlerin war. Die Piratentochter hatte kein leichtes Leben gehabt, auch ohne die Einzelheiten zu kennen wusste er das. Sie verdiente ein wenig Luxus, und dazu gehörte eine vornehme Familie auf Seiten ihrer Mutter.
Innerhalb von sechs Wochen könnte sie vielleicht ein wenig Benimm und Anstand lernen, gerade genug, um niemanden zu schockieren. Anahid würde es sie lehren. Allerdings war er nicht sehr zuversichtlich. Er war nicht einmal sicher, ob La Sauvage Benimmunterricht wünschte, und er hatte nur zugestimmt, sie mitzunehmen, nicht, sie in eine junge Dame zu verwandeln. Außerdem ging ihn das alles nichts an.
Clive gab den Gedanken an Schlaf auf. Bald würde der Tag anbrechen, und vor ihm lag eine Reise. Das Gepäck seiner Kinder war am Abend zuvor gerichtet worden, und er hatte sich entschieden, auch ihren Sprachlehrer mitzunehmen. Diese Entscheidung hatte er getroffen mit dem Gedanken an Miss Carre.
Beinahe fühlte er sich, als hätte er noch ein weiteres Kind angenommen, aber er musste sie sich nur wieder in diesem Nachthemd vorstellen, um zu wissen, dass das nicht stimmte.
Clive trank den Cognac aus und zog sich an. Als er seine Gemächer verließ, hatte der Himmel sich fuchsiarot gefärbt, und das Meer schimmerte indigoblau. Er ging direkt hinüber zum Flügel der Kinder. Alexis’ Tür stand offen, auch er war schon angezogen und stand an der Waschschüssel, wo er sich die Zähne putzte. Dann drehte er sich grinsend zu seinem Vater um, den Mund voll Wasser.
Clive wurde warm ums Herz. Er warf dem Jungen ein Handtuch zu. „Ist deine Schwester auch schon fertig?“
„Ich hörte, wie sie sich bei Anahid über die frühe Stunde beklagte. Papa, heute haben wir guten Wind.“
Clive zwinkerte. „Ich weiß. Lass dir Zeit. Miss Carre schläft zweifellos noch.“
Er ließ seinen Sohn allein, der sich den Mund ausspülte, und ging zum
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