Freibeuter der Leidenschaft
offenbar nicht im Geringsten fürs Segeln, denn sie hatte kein einziges Mal aufgeblickt.
Amanda konnte sich nicht vorstellen, wie es sein musste, dieses reiche kleine Mädchen zu sein. Aber das Kind konnte lesen – und es war erst sechs.
Amanda fühlte, wie sie errötete. Sie wünschte, sie hätte de Warenne nicht anvertraut, dass sie nicht lesen konnte. Hielt er sie für dumm? Sie hatte sofort gemerkt, dass er seine Tochter, die Märchenprinzessin, von ganzem Herzen liebte und unendlich stolz auf sie war. Sie waren von den Docks unterhalb von Windsong aus mit dem Kutter zu seinem Schiff gefahren. Ariella hatte auf dem Schoß ihres Vaters gesessen und ein Buch umklammert, während sie zu der Fregatte hinaus ruderten. Ihr Bruder hatte mit ihr gestritten und gesagt, das Buch hätte eingepackt gehört. Ariella hatte ihm entgegnet, er wäre ein Idiot, weil er kaum Latein lesen konnte. De Warenne hatte dem Streit ein Ende gesetzt, indem er seinem Sohn sagte, Ariella könne so viele Bücher mitbringen, wie sie wolle, und dass er bis zum Ende der Reise am besten nur Latein lesen solle. Bei alldem war die armenische Dienerin stumm geblieben.
De Warenne hatte Amanda lächelnd angeblickt. „Meine Tochter liest besser als viele erwachsene Männer.“ Er wandte sich an das Kind. „Was liest du jetzt, Liebling?“
„Die Geschichte der Pharaonen, Papa.“
Amanda wusste nicht einmal, was ein Pharao war.
Sie war eifersüchtig auf seine Tochter, obwohl sie de Warenne nichts als Dankbarkeit schuldete. Sie wünschte außerdem, er hätte sie ebenfalls auf das Achterdeck eingeladen, wie er es bei seinen Kindern getan hatte, aber das hatte er nicht. Sie hatte keinen Grund, mit ihm zu sprechen, also gab es für sie keinen Anlass, hinüberzugehen und um die Erlaubnis zu bitten, das Achterdeck zu betreten, das jedem Seemann und Offizier heilig war. Vielleicht lud er sie dorthin ein, ehe die Reise vorüber war.
Vermutlich nicht.
Seltsamerweise dachte sie an das schöne Nachthemd aus Baumwolle und Spitzen. Er hatte es nicht zurückverlangt. Es lag in ihrem kleinen Beutel, zusammen mit der Kette und dem Kreuz ihres Vaters und ihrer Pistole. Ihr Stilett trug sie in ihrem linken Stiefel, und ihr Säbel lag unter dem Kopfkissen ihrer Koje.
„Papa? Ich fühle mich nicht wohl“, sagte Ariella.
Amanda drehte sich um und sah, dass die Kleine aufgestanden war, das Geschichtsbuch noch in der Hand. Sie hatte den besonderen Blick, den Amanda sofort erkannte. Das Mädchen war seekrank.
„Kann ich nach unten gehen und mich bei Anahid hinlegen?“, fragte Ariella.
„Das wäre das Schlimmste, was du tun kannst.“ De Warenne warf einen Blick zurück. Er sah Amanda an und schien zu zögern.
Sie glaubte zu wissen, was er wollte, und sprang vor, weil sie ihm etwas für die Reise gutmachen wollte. Warum sollte sie nicht mit den Kindern helfen? Sie wusste überhaupt nichts über Kinder, aber sie schuldete de Warenne etwas, und wie schwer konnte das schon sein? „De Warenne? Ich gehe mit ihr übers Deck.“
Sein Blick wurde sanfter. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Miss Carre? Ich glaube, Anahid ist unten und richtet die Kabinen der Kinder her.“
Amanda lächelte ihn an. „Keine Sorge. Ich lasse sie nicht über Bord fallen.“
Er zuckte zusammen.
Sie lachte. „Das war ein Scherz, de Warenne.“
„Er war nicht lustig“, sagte er ohne zu lächeln.
Sie biss sich auf die Lippen. Er nahm alles so ernst, wenn es um seine Tochter ging! Vermutlich weinte die kleine Prinzessin eimerweise Tränen, wenn er sie schlug. Seufzend streckte sie die Hand aus. „Kommt mit mir.“
Ariella lächelte sie an und hielt ihr die freie Hand hin, während sie mit der anderen das Buch umklammert hielt. Amanda half ihr die drei Stufen zum Hauptdeck hinunter. „In ein paar Tagen wirst du dich besser fühlen, wenn du dich an die See gewöhnt hast“, sagte sie.
„Wirklich?“ Ariella lächelte, dann wurde sie grün im Gesicht.
Gerade noch rechtzeitig führte Amanda das Kind an die Reling, dann erbrach es sich. Sie saß bei ihr, bis Ariella fertig war, dann erkannte sie, dass das Mädchen den Tränen nahe war. Sie war empört. Das Kind war ein Jammerlappen.
Plötzlich war de Warenne neben ihnen aufgetaucht und nahm seine Tochter auf den Arm. „In ein paar Tagen wird es dir besser gehen“, sagte er. „Das verspreche ich dir.“
Ariella kämpfte mit den Tränen. „Mir geht es gut, Papa. Lass mich hinunter.“
„Bist du sicher?“, fragte er.
Sie
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