Freibeuter der Leidenschaft
und Demütigungen ertragen müssen, davon war er überzeugt. Er hoffte sehr, dass ihre Mutter außer sich sein würde vor Freude darüber, wieder mit ihr vereint zu sein, doch er hatte keinen Grund anzunehmen, dass sie sehr glücklich sein würde, wenn die Piratentochter in ihr Leben trat. Und selbst wenn sie sich freute, würden ihre Freunde und ihre Familie Amanda gegenüber weniger tolerant sein. Die vornehmen Damen, die er kannte, waren, auch wenn sie schön, elegant und gut im Bett waren, echte Snobs. Für Exzentrik gab es da keinen Platz. Wie nur sollte Amanda in das Leben ihrer Mutter passen?
Selbst ein schönes Kleid würde nicht ihre Sprache, ihre Manieren und den entbehrungsreichen Hintergrund verbergen, aus dem sie stammte. Während er ihr Benehmen zuweilen reizend fand, hatte sie ihn ein oder zweimal sehr schockiert. Und er war nicht leicht zu schockieren.
Die Gesellschaft würde La Sauvage nicht akzeptieren, davon war er überzeugt.
Sein Verlangen ihr gegenüber konnte er weder verstehen noch hinnehmen. Diese Lust musste aufhören. Ebenso wenig verstand er seinen überwältigenden Wunsch, sie vor weiteren Verletzungen zu schützen, doch das war etwas, das er annehmen konnte. Das war schließlich ehrenhaft. Allerdings war er sich durchaus darüber im Klaren, dass er, wenn er Amanda Carre beschützte, tief in ihr Leben hineingezogen werden würde. Er konnte nur hoffen, dass ihre Mutter tatsächlich großzügig war und kein fester Bestandteil der Gesellschaft. Wenn sie eine freundliche und herzliche Frau war, konnte er Amanda an ihrer Türschwelle absetzen und gehen, in dem Wissen, dass ihre Zukunft gesichert war. Über die weitaus wahrscheinlichere Möglichkeit, dass Dulcea Carre entsetzt sein würde über das Auftauchen ihrer wilden Tochter in ihrem Leben, wollte er lieber nicht nachdenken.
Plötzlich erinnerte er sich an den Ausdruck auf Miss Delingtons Gesicht, als sie dachte, er wäre Amandas Liebhaber, und er verzog das Gesicht. Die Reaktion dieser „Kuh“ war typisch für die Vorurteile und die Bigotterie, die in der Gesellschaft herrschten, und er konnte nicht umhin, das Schlimmste für Amanda zu befürchten. Ja, sie war eine Piratentochter und sie konnte grob und ordinär sein, doch sie war auch klug, geistreich und entschlossen. Außerdem war sie eines der verletzlichsten Wesen, denen er je begegnet war. Er erinnerte sich daran, wie er sie letzte Nacht gesehen hatte, zusammengerollt auf einem der Teppiche in seiner Kajüte, fest schlafend und unglaublich schön, aber so ganz ohne jeden Halt im Leben. In jenem Augenblick hatte er verstanden, warum er sie beschützen musste. Jedes Schiff brauchte einen Anker, sonst trieb es hilflos im Strom.
„Capt’n? Ist Ihnen übel oder so etwas?“
Clive fuhr zusammen. Er stand nackt an der Reling, starrte zum Horizont und war so in Gedanken versunken gewesen, dass er nicht einmal gemerkt hatte, wo er war. Er machte sich nicht die Mühe, dem Seemann zu antworten. Stattdessen stieg er auf die Reling und sprang ins Meer.
Das Wasser war eiskalt, und der Schock lähmte ihn einen Moment lang. Das Wasser war über ihm, umschloss ihn, und er begann zu sinken. Zuerst erwachte sein Verstand und sagte ihm, dass er schwimmen musste, wenn er überleben wollte, und dann setzte sein Herzschlag wieder ein, hart und schnell. Er begann zu schwimmen. Um sich durch das eisige Wasser zu bewegen, brauchte er all seine Kräfte, und einen Moment lang fürchtete er, es würde ihm nicht gelingen. Seine Muskeln protestierten, ebenso sein Verstand – warum? Dann durchbrach er die Oberfläche, spürte die wärmere Luft darüber und atmete tief ein. Jemand warf ein Tau hinab. Er packte es und lachte.
Rasch kletterte Clive an dem Tau nach oben, belebt und bester Stimmung, und zwei Männer halfen ihm über die Reling. Lachend schüttelte er sich das Wasser aus dem Haar. Noch immer schlug sein Herz wie wild vom Kampf gegen den eisigen Tod.
„Kalt genug für Sie, Capt’n?“, fragte MacIver scheinheilig vom Achterdeck her.
Clive richtete sich auf, noch immer grinsend, und ließ sich von der frühen Morgensonne bescheinen. Einen Moment lang wandte er ihr das Gesicht zu und breitete die Arme aus, fühlte sich stark und von urtümlicher Kraft, eins mit Sonne und Meer. Endlich beruhigte sich sein Herzschlag, das Zittern ließ nach, ebenso die Euphorie. Er warf einen Blick auf seinen Maat. „Sie sollten es auch einmal versuchen“, sagte er und griff nach einem Handtuch.
Dann
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