Freibeuter der Leidenschaft
Warenne war nicht für sie bestimmt. Das hatte er im letzten Monat bewiesen. Er hatte sich ihr gegenüber außerdem sehr ehrenhaft benommen, und noch nie hatte sie jemanden getroffen, der solcher Vornehmheit fähig war.
Nun, es war spät, und sie hatte nur geträumt. Sie war fertig mit der Wäsche, kämmte sich das Haar, flocht es und zog sich den verhassten Kaftan über das Hemd. Sie fragte sich, ob sie es wohl behalten durfte.
In dem Moment, da sie die Kabine verließ, sah sie ihn. Zusammen mit Alexi stand er auf dem Achterdeck, betrachtete den Kompass dort. Vermutlich erklärte er seinem Sohn die Navigation.
Sie starrte ihn an, bewunderte die Art, wie das Sonnenlicht sein Haar zum Schimmern brachte, seine breiten Schultern, die starken Schenkel. Langsam begann sie sich an die Nacht zu erinnern, die sie miteinander verbracht hatten, wie sie sich zusammen dem Sturm widersetzt hatten, und ihre Sehnsucht wuchs. Er war ein großer und fähiger Kommandant, und obwohl sie das schon vorher gewusst hatte, hatte sie das jetzt aus erster Hand erfahren. Sie begehrte ihn so sehr, dass es beinahe wehtat.
„ Mademoiselle Carre !“, rief Michelle, offensichtlich erfreut, sie zu sehen.
Verstimmt drehte Amanda sich um. Sie war überzeugt davon zu wissen, was jetzt kam, aber sie wollte zu de Warenne und seinem Sohn. „ Bonjour “, sagte sie widerstrebend.
„Guten Tag“, erwiderte er mit einer Verbeugung. Er wartete.
Amanda seufzte. Nach der letzten Nacht verspürte sie keinerlei Wunsch, sich jemals wieder in den feinen Manieren einer Dame zu versuchen, sie wollte auf das Achterdeck gehen. Doch sie nahm sich zusammen. Sie war unterwegs nach London, und die Uhr tickte. Ihr Benehmen entsprach kaum dem einer Dame, und ihr blieb nur noch wenig Zeit, das zu verbessern.
„ Mademoiselle ? Ihr Knicks? Monsieur le Capitaine hat sich sehr deutlich ausgedrückt. Ich soll Ihre Lektionen vorantreiben, und Sie müssen Erfolg haben. Der Sturm hat uns einen großen Vorsprung verschafft, denn wir konnten den Kurs halten. Ein Wunder, glaube ich.“ Er lächelte. „ Mademoiselle ?“
Sie knickste und sagte: „ Monsieur , ich muss mit de Warenne sprechen.“
Er nickte. „Wenn Sie darauf bestehen, Miss Carre. Aber bitte beeilen Sie sich.“
„Danke“, sagte sie. Und weil sie sich so freute, knickste sie wieder. Dann eilte sie davon und hob den Rock ihres Kaftans an.
„Gehen, nicht rennen!“, rief Michelle. „Damen rennen nicht.“
„Diese schon.“ Amanda lachte ihm über die Schulter hinweg zu. Ehe sie noch die Stufen erreicht hatte, die zum Achterdeck führten, drehte de Warenne sich um. Er lächelte sie kurz an, es war ein seltsames Lächeln, denn es schien nicht seine Augen zu erreichen. Dann nickte er ihr zu. „Hallo, Amanda.“
Sie fühlte sich verwirrt. Sein Gruß wirkte so misstrauisch und wachsam, und sie verstand es nicht. „Ist es erlaubt?“
Er warf ihr über die Schulter zurück einen Blick zu. „Nein.“
Sprachlos starrte sie ihn an. Er gestattete ihr nicht, zu ihm zu kommen? Aber in der letzten Nacht, während des Sturms, hatten sie mehr miteinander geteilt, als die meisten Menschen ihr Leben lang teilten. In der letzten Nacht hatte sich etwas zwischen ihnen verändert, sie war sicher, dass sie echte Schiffskameraden geworden waren. „Ich darf nicht hinaufkommen?“
„Sie haben heute Lektionen zu beenden, Amanda. Und da schon fast die Sonne untergeht, werden Sie bis Mitternacht kaum damit fertig werden, wenn Sie jetzt anfangen.“ Er lächelte ihr noch einmal etwas gequält zu. Dann sah er sie an aus seinen strahlendblauen Augen, und sein Blick wirkte fragend.
„Können die nicht bis morgen warten?“, fragte sie und ihr Herz schlug wie wild vor Verwirrung und Schmerz.
„Warum?“, fragte er freundlich. „Sie scheinen nicht krank zu sein. Der Sturm ist Ihnen anscheinend recht gut bekommen. Wie fühlen Sie sich?“, fügte er hinzu.
In seiner Frage lag ein Unterton, den sie nicht verstand. „Ich fühle mich gut.“ Sie lächelte ihn an und wollte, dass er ihr ein so herzliches Lächeln schenkte, wie er es oft tat.
Er sah sie weiterhin an. „Haben Sie gut geschlafen?“
Welch seltsame Fragen er stellte! „Ich habe gut geschlafen“, sagte sie. Sie dachte daran, wie sie in seinem Hemd erwacht war. „Danke, dass Sie mir trockene Kleidung geliehen haben.“ Sie zögerte. „Ich kann mich nicht erinnern, es angezogen zu haben oder eingeschlafen zu sein, oder überhaupt an irgendetwas anderes als
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