Freiflug (Die Ratte des Warlords II) (German Edition)
auf stur schalten. Nach einigem Kräftemessen gab Oma klein bei. Im Gegenzug überließ Kepler ihr die Wahl des Restaurants. Sie aßen gutbürgerlich deutsch, und nach einem winzigen Gläschen Wein für den Appetit lebte Oma auf.
Sie erzählte wie sie achtundvierzig für die Familie zu Weihnachten ein so lches Schnitzel, wie sie es jetzt aßen, aufgetrieben hatte. Kepler hatte ähnliche Geschichten schon früher von ihr gehört, aber damals hatte er sie nicht zu würdigen gewusst. Jetzt, mit eigener Erfahrung, verneigte er sich im Geiste ehrfürchtig vor Oma und vor anderen Frauen wie ihr, die nach dem Krieg das Land wieder aufgebaut hatten. Fassungslos fragte Kepler sich, woher sie die Kraft gehabt hatten, Frauen, Mütter und Heldinnen zu sein. Oma schöpfte ihre Kraft aus derselben Quelle, von der Marie gesprochen hatte, als sie in seinen Armen starb.
Oma erzählte ohne Pathos, sie lachte sogar dabei, aber Kepler wusste es besser. Er wusste, was Oma und solche Frauen wie sie damals geleistet hatten, er hatte das Elend des Krieges zugenüge gesehen. Und er wusste auch, wie wenig Dank diese Menschen dafür bekommen, wie wenig Achtung solche wie er dieser Generation erwiesen hatten.
Zu Hause sahen sie fern. Sie erwischten natürlich einen Liebesfilm. Oma mochte auch moderne Filme, obwohl ihr die mehr oder weniger unterschwellige Erotik darin fürchterlich gegen den Strich ging. Kepler amüsierte sich verhalten darüber, was Oma noch mehr aufregte, bis sie sein fieses Spielchen durchschaute und ihn dazu verdonnerte, Tee zuzubereiten. Es lief wie schon vor Jahren, und sie beide hatten es vermisst. Nun nahmen sie das alte Spiel mit neuem Elan auf.
Kepler ho lte ihr den Tee und dann, weil die ellenlange Werbepause immer noch lief, fragte Oma ihn über Afrika aus. Aber genauso wie Sarah konnte sie sich das Leben dort nicht vorstellen. Kepler holte den Laptop und Katrins DVD.
Die We rbung war längst vorbei, aber Oma hatte den Film ganz vergessen. Sie sah die Bilder an, die Tasse mit dem erkaltenden Tee in der Hand, und sie litt.
"Deswegen kam Katrin mir so verletzt vor", sagte sie nachdenklich. "Sie hatte nur gelächelt, wenn sie von dir sprach."
Sie verstummte mit einem schweren Blick.
"Eigentlich willst du wissen, was ich dort getan habe", erriet Kepler.
"Ich habe etwas mitbekommen, als du und Sarah geredet habt", sagte Oma zögernd und verlegen. "Ich wollte mir nur ein Glas Wasser aus der Küche holen."
Dass sie nie lauschen würde, das wusste Ke pler.
"Was willst du wissen?"
"Du hast einen Jungen getötet?", fragte Oma nun gefasst.
Kepler überlegte, wieviel es sie gekostet hatte, auf dieses Gespräch zu warten.
"An dem Tag habe ich sechzehn Menschen getötet. Auch diesen Jungen. Die Nonnen hatten für ihn gesorgt, aber er überfiel sie."
"Welche Nonnen?"
Kepler erzählte ihr, wie Abudis Leute die fünf Nonnen umgebracht hatten.
"Was hast du dabei empfunden?", fragte Oma scharf.
"Ich wollte die Frauen retten, aber ich kam zu spät. Es war nur gerecht, dass dieser kleine Killer und die anderen nicht weiterlebten, ich konnte sie nicht davon kommen lassen. Oder meinst du, ich habe aus Spaß getötet?"
Oma schwieg und Kepler schüttelte erschrocken den Kopf.
"Ich bin Soldat , Oma. Meinetwegen bin ich ein Killer, aber ich bin kein Sadist." Er atmete durch. "Im Kosovo habe ich meine Macht über Leben und Tod kennengelernt", sagte er leise, "und sie ist wirklich süß." Er blickte Oma in die Augen. "Aber soviel hast du mir beigebracht, dass ich niemand Unschuldigem etwas tun würde. Du warst immer bei mir, Oma, und hast auf mich aufgepasst, und ich habe gebetet, dass ich nicht so werde, wie Abudi dann geworden ist. Ich habe ihn erschossen, weil er sich von dieser Macht hatte korrumpieren lassen."
"Gut", sagte Oma und ihr Blick wurde weicher. "Es ist nur schwer, so etwas zu hören." Sie atmete durch. "Du hast getan, was du für richtig gehalten hast. Zumindest warst du davon überzeugt, auch wenn dem in Wirklichkeit nicht so ist."
Kepler war erleichtert, dass Oma ihn nicht von vorneherein verurteilte. Aber das hatte sie nie getan. Er sah ihr in die Augen.
"Ich weiß . Aber ich würde es trotzdem wieder tun. Wenn es wieder dieser Tag wäre, würde ich es tun, auch wenn ich wüsste, dass es vergebens ist. Es ist trotzdem besser, als nichts zu tun und Menschen beim Sterben zuzusehen."
"Es mag richtig sein", sagte Oma. "Aber bist du dir sicher, ob es das auch ist?"
"Genau das ist es , das bin ich nicht."
Weitere Kostenlose Bücher