Freiflug (Die Ratte des Warlords II) (German Edition)
Kepler schüttelte sich. "Ich weiß sogar, dass es eigentlich falsch war. Aber Oma, Afrika ist anders. Alles, was ich da getan habe, schien mir unter den Umständen dort das einzig Richtige zu sein, manches mehr, manches weniger. Deswegen meine ich, nicht ganz falsch gehandelt zu haben. Deswegen kann ich schlafen."
"Aber nicht gut ." Oma streichelte über seine Hand. "Und wenn du irgendwann endlich zu der Erkenntnis kommst, dass es das Falsche war, und du es nachvollziehen kannst, dann tue Buße und es wird dir vergeben."
"Das hat die Nonne auch gesagt", murmelte Kepler. "Oma", er sah seine Großmutter an, "wenn ich nicht an Gott glauben würde, hätte ich mir längst eine Kugel in den Kopf gejagt. Nur kann ich nicht so wie du glauben, ich bin nicht so stark." Er blickte in die Ferne. "Den Nonnen hat Gott die Kraft gegeben, in solcher Würde und Stärke zu sterben, wie ich sie bei keinem Soldaten je gesehen habe. Aber wozu?" Er blinzelte hilflos. "Was ist mit Katrin? Sie hat niemanden getötet, aber ihr geht es noch schlimmer als mir. Warum?"
"Ich bin schon lange auf dieser Welt, aber ich weiß nicht alles ." Oma sah ihn an. "Ich weiß aber, dass bei unserem himmlischen Vater die Antworten und die Vergebung sind. Und bei Ihm ist die Liebe."
"Meinst du, der will etwas von mir wissen?", fragte Kepler gehetzt. "Ne."
"Wieso glaubst du das?" Keplers Großmutter schüttelte den Kopf, dann lächelte sie ihn an. "Gott liebt dich. Habe Vertrauen zu Ihm."
"Oma, du spinnst ", erwiderte Kepler verbissen. "Ich bin es nicht wert."
"Du irrst dich", widersprach sie sofort und entschieden. "Und deswegen fühlst du dich auch so unwohl und verloren. Der Sohn Gottes ist für dich gestorben, sosehr liebt Er dich." Sie hielt inne und sah Kepler an. Sie sah blutenden Herzens, dass er überhaupt keine Lust hatte, ihre Bezeugungen über den Glauben zu hören, der sie durch ihr schweres Leben getragen hatte. "Irgendwann wirst du es erkennen, freiwillig oder nicht, dass es ohne Ihn keinen Ausweg gibt. Ich hoffe nur, es wird nicht zu spät sein. Und ich liebe dich auch." Sie sah ihm tröstend in die Augen. "Ich werde für dich beten", versprach sie. "Und für Katrin."
"Danke , Oma", sagte Kepler in ehrlicher Dankbarkeit, und für einen kurzen Moment hatte er eine irre Hoffnung, dass alles gut werden würde.
Oma zog ihn zu sich und streichelte über seine kurzen Haare, wie sie es getan hatte, als er noch klein war. Dann nahm sie seinen Kopf in beide Hände und sah ihm in die Augen.
Kepler blickte zurück, und das, was er in den Augen seiner Großmut ter sah, das war es, was ihm sein ganzes Leben lang Kraft gegeben hatte. Oma lächelte und küsste ihn auf die Stirn. Und nachdem sie ihn geküsst hatte, fühlte er sich in ihren Händen geborgen, wie damals als kleiner Junge, als sie ihn getröstet hatte.
Aber er spürte auch, dass die Hand, die sanft über seine Wange fuhr, jetzt ganz leicht zitterte.
Seine Geschichte war wohl zu viel für Oma gewesen, sie ging gebeugt aus dem Zimmer. Kepler schalt sich, dass er es ihr erzählt hatte, dass er ihr auch noch seine Probleme aufgebürdet hatte. Aber ihre tröstenden Worte ließen ihn leichter atmen. Und dass er sie beten hörte, als er an ihrem Zimmer vorbeiging, auch.
Am nächsten Morgen, als Kepler vom Laufen kam, buk Oma Pfannkuchen. Sie lächelte ihn an und servierte sie ihm so, wie er sie als Kind gemocht hatte, golden, heiß und mit reichlich Himbeermarmelade. Kepler setzte sich an den Tisch und verschlang die zarten Kunstwerke, erst danach ging er duschen.
Oma hatte in der Zwischenzeit anscheinend Sehnsucht nach ihrem Urenkel verspürt und Sarah angerufen. Jens' Familie wohnte nur zwei Straßen weiter, und Sarah war mit ihrem Sprössling schon da, als Kepler nach dem Duschen nach unten kam. Sein Neffe hatte heute aber nicht die Laune, seine Uroma mit seinem sonst so sonnigen Gemüt zu beglücken. Stattdessen wand er sich im Schalensitz und brüllte sich die Seele aus dem Leib. Sarah sah erschöpft und genervt aus, anscheinend betrieb der Kleine seine Beschäftigung schon seit Stunden. Kepler blickte völlig ratlos auf das brüllende Kind.
"Was ist mit Bob los?", erkundigte er sich.
"Der Arzt sagt, das sei nur eine Phase", antwortete Sarah erschöpft. "Wieso Bob?", entrüstete sie sich mit Verspätung. "Sein Name ist Robert."
"Der Typ ist nicht mal einen Meter groß . Robert ist zu lang."
Sarah hatte nicht genug Kraft, anständig zu widersprechen, nicht einmal, um zu lächeln.
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