Freiflug (Die Ratte des Warlords II) (German Edition)
geführt zu werden. Sie gab ihre Wünsche vor, und er bemühte sich, sie möglichst gut zu erfüllen, sei es ein exotisches Lokal, eine gute Bar oder ein ruhiges Café.
Melissas Augen strahlten freudig, das Misstrauen darin und die Anspannung, die sie seit der Sache in Steinfurt hatte, waren verschwunden. Ihr Blick hatte eine Leichtigkeit, wie es zu Beginn ihrer Beziehung gewesen war. Kepler freute sich darüber und wollte die Zeit, die ihm mit Melissa vergönnt war, genießen.
Draußen war es kalt, aber fast windstill. Man spürte die Kälte zwar deutlich, sie biss aber nicht. Irgendwie war es sogar schön, die frostige klare Luft zu a tmen, während die Stadt sich in Myriaden farbenfroher Festlichter im dunklen Himmel spiegelte. Der Duft der Champignons, der gerösteten Mandeln und des Glühweines, der von überallher wahrnehmbar war, und die fröhlichen, lachenden Gesichter der Menschen, viel entspannter als sonst, ließen einen Zauber entstehen, der sich wie Kindheit anfühlte und der Kepler fast einnahm. Überrascht über diese Empfindungen blickte er zu Melissa. Sie wirkte verträumt, wie er sie noch nie erlebt hatte. Sie schritt, in sich versunken, vor sich hin, den Kopf leicht zur Seite gelegt. Die winzigen Schneeflocken glitzerten, jetzt als Wassertröpfchen, in ihrem Haar. Sie lächelte kaum merklich. Der leichte Dampf ihres Atems umhüllte für kurze Momente ihr Gesicht. Dann spürte Melissa wohl Keplers Blick und sah ihn an. Sie lächelte und der Griff ihrer Hand wurde etwas stärker.
Kepler mochte es, ihre Hand in seiner zu spüren, es gab ihm das Gefühl einer Ve rbundenheit. Es war auch ein dezentes Versprechen, die Vorfreude auf das, was passieren würde, sobald sie allein waren. Dann hatte er Melissa und seinen Frieden. Er überlegte, ob er ihr sagen sollte, dass er sie gern hatte.
In diesem Moment blickte Melissa in ein Schaufenster, an dem sie gerade vo rbeigingen. Abrupt blieb sie stehen. Hinter der Glasscheibe waren Brautkleider ausgestellt. Melissas Blick verlor sich in den unzähligen Fäden einer filigranen Stickerei, ihr Gesicht nahm einen träumerischen Ausdruck an.
Kepler durchzuc kte ein unangenehmes Gefühl. Um es zu verdrängen, warf er einen Blick in das Schaufenster des Ladens daneben. Und jetzt vergaß er sich.
Einsam und hell erleuchtet lag im Schaufenster auf einem Samtkissen ein ku rzes Schwert. Es war die sanfte Anmut der tödlichen Waffe, die Keplers Blick einfing. Das Licht der in die Decke des Schaufensters eingebauten Diodenlampen brach sich genau am Umbruch der Schneide. So zierlich und so schlicht gehalten das Schwert war, so kraftvoll und gefährlich sah es aus. Die schmale, leicht gebogene Klinge maß nur vierzig Zentimeter Länge, war einschneidig und weder verziert noch kunstvoll dekoriert. Sie glänzte einfach im reinen beständigen Silber. Das bei japanischen Blankwaffen übliche Stichblatt anstelle der Parierstange fehlte. Das Heft war an dieser Stelle abgeschrägt, sodass der Übergang zwischen ihm und der Klinge über die kurze Fehlschärfe so unscheinbar war, als ob das gesamte Schwert aus einem Stück gearbeitet worden wäre. Sowohl die daneben liegende Scheide, als auch das Heft des Schwertes bestanden aus einfachem poliertem Bambus, zusammengehalten von einer leicht angefransten schwarzen Lederschnur. Das Schwert wirkte auf den ersten Blick völlig anspruchslos. Aber wenn man etwas davon verstand, sah man die bis auf den letzten Millimeter perfekte Verarbeitung der wertvollen Waffe.
Kepler kannte den Laden, es war ein Militärshop. E s war sogar nicht schlecht sortiert, Kepler hatte hier vor Monaten für die kalte Jahreszeit einen Bundeswehrpullover gekauft. Der Shop hatte vorher keine solchen Schwerter geführt, aber jetzt hing sogar eine ganze Ninja-Ausstattung im Fenster. Kepler ging ohne ein Wort in den Laden und zog Melissa hinter sich her.
Der Mann am Tresen trug einen Schnurbart, der in zwei langen Zipfeln zu beiden Seiten seines Mundes herunterhing, und ebenso lange Haare, hinten zusammengebunden. Er schien Feierabend machen zu wollen. Seine Augen flackerten unwillig auf, als Kepler und Melissa hereinkamen. Kepler ignorierte es.
"Hallo", sagte er knapp und wartete nicht auf eine Erwiderung, sondern wies zum Schaufenster. "Dieses Schwert da, was ist das für eins?"
"Ein Wakizashi", antwortete der Mann müde, aber pflichtbewusst. "Neben dem Katana war es das andere Schwert der Samurai."
"Das Schwert des einfachen Volkes", erinnerte Kepler sich.
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