Freiflug (Die Ratte des Warlords II) (German Edition)
benutzte die kalte Erscheinung nur, um sich vor solchen Begegnungen wie eben mit dem Angetrunkenen zu schützen. Hinter dieser Fassade verbarg sich eine lebenslustige Frau mit wachem Verstand und feinem Humor, und ihre leicht abgehobene Art missfiel Kepler nicht so wie bei anderen Menschen.
Julia arbeitete um die Ecke in der Börse. Sie hatte einen recht prosaischen B eruf, der gar nicht zu ihrer Erscheinung passte. Julia drückte es mit einem Augenzwinkern als Buchhalterin des gehobenen Niveaus aus, was Kepler breit und anerkennend lächeln ließ. Julia sah ihn erstaunt an, lachte und stupste ihn dankbar, wie es Kepler anmutete, in die Schulter. Danach sah sie ihn sogleich verlegen an, als ob die Geste voreilig gewesen wäre. Kepler überging es und fragte, ob sie nach einem schweren, zahlenüberfüllten Tag nochmal das Weltliche genießen wollte. Julia sah ihn verwundert an, woraufhin er seine Frage auf einen Cosmopolitan hin präzisierte. Julia lachte und bejahte. Kepler holte das Getränk. Danach erzählte Julia knapp und bündig, dass sie geschieden war und ein Kind hatte, damit war das Thema erledigt. Kepler war dankbar dafür, er hatte keine Lust zu hören, wie toll ihr Kind war, wie schwer eine alleinerziehende Mutter es hatte, und was für ein mieser Typ ihr Exmann gewesen war.
Trotz seiner großen Erfahrung verstand Kepler nicht viel von Frauen. Aber so viel, dass man sie reden lassen sollte, das wusste er. Nun war Julia mit ihrer G eschichte fertig, und Kepler wollte nicht gleich die seine erzählen. Er schämte sich nicht, er mochte nur die Stelle nicht, an der er erklären musste, warum er nicht arbeitete. Er hätte zwar lügen können, das hatte er schon auch öfters gemacht und sich für einen Vertreter ausgegeben, aber heute wollte er es nicht.
"Noch eine n?", fragte er deswegen schnell und deutete auf Julias Glas.
Es war noch nicht leer, und sie sah ihn überrascht und argwöhnisch an.
"Damit du über die Männer hinwegkommst", erklärte er fadensche inig.
" Wie das?", wollte sie wissen. "Du sitzt doch direkt vor mir."
"Das stimmt wohl. Doch dafür kann ich nichts , angebaggert hast du mich."
" Richtig." Julia lachte. "Lass uns lieber tanzen." Sie sah ihn mit gespielt scharfem Misstrauen an. "Oder willst du mich besoffen machen?"
Kepler stand auf und hielt ihr die Hand hin.
"Wirken die KO-Tropfen immer noch nicht?", fragte er niedergeschlagen.
"Ich zeig e dir gleich KO, du." Julia zog sich an seinem Arm hoch. "Marsch auf die Tanzfläche."
Der Alkohol wirkte anscheinend schon etwas auf sie, dazu kam der Rausch der Musik. Eine solche Erotik wie mit ihr hatte Kepler beim Tanzen noch nie erlebt. Sie berührten sich kaum, meist nur mit den Fingerspitzen, Julias Bewegungen waren nicht anzüglich, aber ihre Sinnlichkeit war für Kepler etwas absolut Neues. Julia steigerte sich ins Tanzen hinein und zog ihn dabei so mit, dass er alles um sich herum vergaß. Julia war leicht außer Atem, als sie, begleitet von vielen Blicken, die sie gleichgültig ließen, Kepler von der Tanzfläche führte.
"Holst du mir bitte ein Wasser, Dirk?", bat sie. "Ich gehe mich frisch machen."
S ie drückte seine Hand und ging in Richtung der Toiletten. Kepler brauchte an der Bar deutlich länger, der Klub war nun voll. Als er endlich die bestellten Getränke bekam, stand Julia neben ihm.
"Keine Sitzplätze mehr", sagte sie.
Sie nahm das Glas mit dem Wasser aus Keplers Hand und leerte es in einem Zug. Er hielt ihr wortlos seinen Orangensaft hin, als sie ihr Glas abset zte.
"Danke", sagte Julia und trank den Saft ebenfalls in einem Zug aus. " Sehr lecker", bescheinigte sie auffordernd.
"Wievie le Gläser noch?", erkundigte Kepler sich.
"Zwei", kam die etwas abfällige Antwort. "Du sollst nicht dehydrieren."
" Diese Fürsorge ist rührend", meinte Kepler. "Was auch immer sie bedeutet."
Darauf bekam er logischerweise keine Antwort. Er hatte auch keine erwartet und drängte sich zur Bar.
Danach tanzten sie wieder. Die Tanzfläche war mittlerweile so voll, dass sie fast zusammengequetscht wurden. Das enge Tanzen hatte auch etwas für sich, aber es war nicht so prickelnd wie vorhin. Julia schien diese Meinung zu teilen, nach einer halben Stunde verließen sie die Tanzfläche. Während Kepler wieder Orangensaft holte, gelang es Julia, einen Zweiertisch in der zweiten Ebene zu ergattern, und eine weitere halbe Stunde lang genossen sie ihre Getränke.
"Es wird langsam zu laut hier, und zu eng", sagte Julia, nachdem sie
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