Freiflug (Die Ratte des Warlords II) (German Edition)
Café unweit des Hotels, in dem die Konferenz stattfand. Julia war zerstreut und begoss ihre Bluse mit Kaffee. Sie brauchte umgehend eine neue, hatte aber keine mit. Trotzdem war es unmöglich, mit einem Fleck auf der Bluse zu einer Besprechung zu gehen. Keplers Einwand, sie könne den Fleck verdecken, wenn sie die Jacke ihres Kostüms zugeknöpft ließ, wurde nicht einmal zur Kenntnis genommen. Auf der Hildesheimer Straße gab es einen Discounter, und Julia hieß Kepler umgehend hinzufahren.
In der nächsten knappen Stunde lernte Kepler etwas über Frauen im Allgemeinen und über Julia im Besonderen.
Seine neue Erfahrung bestand in der Erkenntnis, dass, wenn der Druck auf sie so hoch war wie der im Inneren der Sterne, der Atome zur Kernfusion zwang, weibliche Wesen tatsächlich imstande waren, schnell Kleidung kaufen zu können. Für Kepler war es besser als jede naturwissenschaftliche Abhandlung.
Erst war Julia unschlüssig durch die Gänge des Kaufhauses geirrt und fasste mal hier eine Bluse an, mal da eine. Dann blickte sie auf die Uhr. Sie verharrte und sammelte sich. Dann setzte sie sich wieder in Bewegung, und zwar so, dass Kepler kaum hinterher kam. Zielsicher suchte Julia einige Kleidungsstücke aus und belud Kepler damit. Als sie genug hatte, ging sie zu den Umkleidekabinen, zog die Sachen nacheinander an, kam heraus, sah sich im Spiegel an und verschwand wieder hinter der Tür. Sie fragte Kepler nicht nach seiner Meinung, sah ihn aber jedes Mal prüfend an. Schließlich hatte sie sich für eine elegant-strenge, aber nicht zu konservative Bluse entschieden, die ihre schlanke Figur noch graziler wirken ließ und zu ihrem Kostüm passte. Sie behielt die Bluse gleich an und raste zur Kasse. Als sie der Kassiererin die abgerissene Etikette reichte und den unteren Rand der Bluse hinhielt, damit die Sicherheitsplakette abgemacht werden konnte, sah die Frau sie überrascht an. Julia blickte zurück, dann verständigten sich die beiden irgendwie, die Kassiererin nickte und machte weiter.
Kepler war oft genug mit Oma, Sarah und diversen anderen Frauen einkaufen gewesen, um zu wissen, dass er Zeuge von etwas Außergewöhnlichem geworden war. Frauen im Allgemeinen stiegen in seiner Achtung noch mehr hoch. Vor Julia im Besonderen empfand er einen Augenblick lang bodenlose Ehrfurcht.
Kurz vor zehn Uhr setzte Kepler Julia im Hotel Ramada in der Nähe der Messe ab. Er wartete draußen, bis Julia in Erfahrung gebracht hatte, wann er sie abholen musste. Einige Minuten später kam Julia heraus, sie wirkte durch und durch geschäftig. Sie teilte Kepler mit, dass er sie gegen drei Uhr abholen solle. Kepler bestätigte mit einem Nicken, drehte sich wortlos um und ging hinaus.
Er hatte nun massenhaft Zeit und wusste nicht, wohin damit. Auf der Messe gab es für ihn nichts Interessantes, aber er sah ein Plakat mit der Werbung von SeaLife . Er fuhr hin und machte einen Rundgang durch das tropische Aquarium.
Am besten fand er kleine Krabben, die begeistert seine Finger putz ten, es kitzelte angenehm, als die Tierchen die tote Haut entfernten. Einige Kinder hatten ihn beobachtet, als er sofort nach der Ansage des Rundgangleiters die Hand ins Becken steckte. Trotz der ausdrücklichen Ermunterung hielten die Kinder erst nach Keplers Beispiel zaghaft die Hände ins Wasser.
Als sein Handy klingelte, wischte er bedauernd die Hand an der Hose trocken und zog das Telefon aus der Tasche. Die Nummer auf dem Display hatte Bremer Vorwahl, aber er kannte sie nicht.
"Kepler ."
"Valentin."
"Moin."
"Wo sind Sie?", fragte der Polizist scharf.
"Sie haben da so eine dolle Maschine..."
"Können Sie nicht einfach sagen, dass Sie bei den Herrenhäuser Gärten in Hannover sind?", unterbrach ihn der Beamte scharf. "Sie haben versprochen sich zu melden, wenn Sie wegfahren. Was machen Sie dort?"
"Entschuldigen Sie bitte", erwiderte Kepler. "Mein Fehler, tut mir leid. Ich musste jemandem einen Gefallen tun und ihn nach Hannover bringen."
"Wann kommen Sie zurück? Ich muss mit Ihnen reden", sagte Valentin we icher, Keplers Entschuldigung hatte ihn milder gestimmt. "Umgehend."
"Bin heute Abend zurück . Soll ich dann zu Ihnen kommen?"
"Nein, ich komme morgen früh bei Ihnen vorbei", en tschied der Polizist.
"In Ordnung."
"Bis Morgen", verabschiedete Valentin sich kurzangebunden und legte auf.
Kepler spürte nur aufgeregte Neugier, keine Anspannung. Wenn man ihn nicht sofort festnahm, hatte er Zeit, sich aus dem Staub zu machen. Aber
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