Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
nahmen wir uns vor, sollte es dann so weit sein.
Unter verschiedenen Möglichkeiten wählten wir als Empfänger des Überschusses, den wir dabei machen wollten, ein Kinderhospiz aus. Es motivierte mich ganz besonders,
dass ich selbst ein Kind plötzlich und unerwartet verloren hatte.
Kurz vor Beginn der konkreten Vorbereitungen, sozusagen in allerletzter Minute, stellten wir diese Entscheidung jedoch nochmals infrage. Aus unserem engeren Umfeld war eine andere Idee an uns herangetragen worden: eine Veranstaltung zugunsten benachteiligter deutscher und türkischer Kinder. Gleichermaßen. Eine bestechende Idee, bei unserem persönlichen Hintergrund, nicht wahr? Die Vermutung, dass gerade wir für diese Zielgruppe besonders viel herausholen könnten, lag nahe. Und schließlich hatten wir dem Hospiz noch keine konkrete Zusage erteilt. Nach einigem Hin und Her entschieden wir uns für den multikulturellen Ansatz - und damit, wohl oder übel, gegen unser ursprüngliches Vorhaben.
Die Gala fand im Frankfurter Palais am Zoo statt. Ein ganzes Jahr lang hatten wir nun die Klinken geputzt, um Sponsoren aufzutreiben. Wir würden den Besuchern etwas Einmaliges bieten - und dafür sollten sie ihre Geldbörsen weit öffnen! Es gibt da eine Faustformel: Wenn du bei einem Charity-Event die Summe X einsammeln willst, musst du fünfmal X dafür ausgeben. Die ganze Veranstaltung, mit allem Drum und Dran, stellte einen Wert von einer halben Million Euro dar: Sachmittel, Dienstleistungen, Personal, alles sponsorenfinanziert. Wir hofften somit auf einen Netto-Erlös von einhunderttausend Euro.
Die meisten Deutschen wissen gar nicht, dass in ihrem reichen Land Zigtausende Kinder und Jugendliche auf der Straße leben. Junge Menschen, die vor Vernachlässigung, Misshandlung oder Missbrauch geflohen sind und
durch Bettelei, Prostitution und Diebstahl um ihr Überleben kämpfen. Sensible, verletzliche Mädchen und Jungen, die sich nach Geborgenheit und häuslichem Frieden sehnen.
Genauso sehen viele Türken geflissentlich darüber hinweg, dass in ihrem Land immer noch so viel unbeschreibliche, bittere Armut herrscht. Zahllose Kinder müssen dort arbeiten, um für den Lebensunterhalt ihrer Familien aufzukommen, und können deshalb nicht zur Schule gehen. Bleiben vielfach Analphabeten, ohne Chance auf ein Leben, das ihren Fähigkeiten entspricht.
Armen Menschen zu helfen ist in unserer Familie, die für türkische Verhältnisse gut gestellt war, immer eine Selbstverständlichkeit gewesen. Was machte unsere Oma mit dem vielen Essen, das sie von ihren dankbaren Klienten erhielt und das wir nicht aufessen konnten? Sie schickte uns damit zu den Bedürftigen in der Nachbarschaft.
Jetzt, so hatten wir das Gefühl, war es an der Zeit, etwas zurückzugeben. An beide Welten, aus denen wir stammen. An Kinder in Deutschland, denn wir leben und arbeiten hier, und an Kinder in der Türkei, denn dort haben wir unsere Wurzeln.
19:00
Roter Teppich. Begrüßung. Aperitif und Fingerfood. 700 Gäste begehren Einlass. Jede Menge Prominenz aus Politik, Wirtschaft, Medien und Showbusiness, zahlreiche lokale Promis. Presse und Fernsehen berichten.
Ein ganzes Jahr lang haben wir geschuftet, um diesen Moment wahr werden zu lassen. Jetzt ist für alles gesorgt. Eine perfekte Dramaturgie. Der Eventmanager übernimmt die Regie, ich selbst kann mich voll und ganz auf unsere Gäste einlassen.
20:00
Zwei bekannte Moderatoren eröffnen den Programmteil, sie arbeiten gratis, wie alle Künstler und Performer an diesem Abend, der unter der Schirmherrschaft des hessischen Ministerpräsidenten steht. Die Dienstleistungen der Models und Stylisten, der Designer und Dekorateure sind ebenfalls Spenden. Auf dem Programm: Modenschau, Live-Hairstyling und Show-Acts.
Ich stehe im Bereich neben der Bühne, wo man den besten Überblick hat. Sehe all die lachenden, gut gelaunten Leute und kann es kaum glauben. Wir haben es wieder einmal geschafft!
20:05
Es tippt mir jemand auf die Schulter. Die Vertreterin des Vermieters der Räumlichkeiten steht neben mir. Sie ist offenbar dafür da, heute Abend überall nach dem Rechten zu sehen.
Was will die denn jetzt hier? Warum hält sie sich nicht Hintergrund? Wir haben doch alles im Griff.
»Frau Auth, wir haben ein Problem.«
Die Frau mit dem strengen Blick nestelt an ihrem Walkie-Talkie. Von Amts wegen steht ihr ein eigener Funkkanal zu.
Das fehlte mir gerade noch, wenn das Ding jetzt zu piepen anfängt. Ausgerechnet jetzt, da
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