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Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom

Titel: Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse Auth
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unser Schlafzimmer war auch ihr Empfangsraum. Andererseits brachte ihre Tätigkeit auch nicht zu verachtende Vorteile für uns mit sich. Dienste, die im Namen Gottes verrichtet werden, vergilt man in der Türkei traditionell in Naturalien. O ja, es gab immer viel und gut zu essen bei uns! Das Haus quoll nur so über von gebratenem Fleisch und Fisch, frischem Obst und Gemüse, duftendem Fladenbrot und allerlei süßen Sachen. Solange uns dieser Überfluss beschert wurde, waren wir Kinder von Großmutters Tätigkeit doch sehr angetan. Und wir fragten nicht weiter, was das alles zu bedeuten habe.
    Immerhin, ein paar Gedanken machte man sich schon. Warum eigentlich hatte Oma nach einem anstrengenden Vormittag im Dienste der spirituell ausgehungerten Dörfler noch immer nicht genug »gebetet«? Diese Frage trieb mich eine Weile um, ohne dass ich sie recht beantworten konnte. Sobald wir Kinder nach der Schule mit dem Allernötigsten versorgt waren, ging sie nämlich schon wieder in Klausur, nun aber ganz für sich allein. Sie saß einfach da, mit geschlossenen Augen auf ihrem Bett, den Rücken zur Tür und das Gesicht zur Wand, nach Osten. Die Hände in Gebetshaltung, mit den Handflächen zum Körper, die Fingerspitzen nach oben. Auf dass die Fülle Allahs in sie flösse!

    Während sie stundenlang so da saß, schien sie vollkommen weggetreten zu sein. Offenbar bemerkte sie es nicht einmal, wenn wir uns einmal trauten, das Zimmer zu betreten. Es war uns natürlich streng verboten, sie »beim Beten« zu stören. Solange sie »bei Gott« war, hatten wir in der Küche zu bleiben, wo stets Essen auf dem Ofen stand. Manchmal schlichen wir uns auf Zehenspitzen zu ihr hinein, um zu schauen, wie weit sie war. Und eines Tages fanden wir es dann heraus: Sobald sie anfing, den Kopf mehrmals nach rechts und links zu bewegen, konnte es nicht mehr lange dauern. Dann bat sie den Engel auf der rechten und den Engel auf der linken Schulter um ihren Segen. Diese beiden Engel hat nach einem alten Glauben jeder Mensch. Nur konnte eben nicht jeder in Susurluk Kontakt mit ihnen aufnehmen. Danach strich Oma sich immer übers Gesicht, als wolle sie etwas wegwischen. Abschließend dankte sie dem Himmel und sprach ein inbrünstiges »Amen!« Danach war sie sofort wieder ansprechbar. Von Null auf Hundert aus einer Welt in die nächste!
    Viel später, in Deutschland, habe ich eine interessante Antwort auf meine kindliche Frage nach Omas nachmittäglichen Exerzitien gefunden. Ich erfuhr nämlich, dass sich energetische Therapeuten und professionelle Geistheiler völlig ausgelaugt fühlen, wenn sie ihrer Tätigkeit nachgehen, ohne anschließend neue Kraft zu schöpfen. Sie verwenden, wie es scheint, bei ihrer Arbeit so viel Energie auf andere, dass sie sich hinterher unbedingt auf sich selbst konzentrieren müssen, um wieder zu Kräften zu kommen.
    Hati und mir lagen solche Erwägungen damals natürlich »so fern wie der Berg Ararat«, wie man in der Westtürkei
sagen würde. Wir verarbeiteten diese speziellen Eindrücke so, wie es unserer jeweiligen Entwicklungsstufe entsprach. Als Teenager nannten wir Oma, wenn sie in diesem Zustand verweilte, nur noch »Madame Seltsam«. Als Kinder jedoch waren wir davon ebenso fasziniert wie eingeschüchtert, und manchmal gab es uns ein richtiges Gänsehautfeeling.
    Einmal ist meine Schwester nachts aufgewacht und wollte Zeuge geworden sein, wie Babanne sich mit einem Geist unterhielt. Ich selbst hatte nichts davon mitgekriegt, aber sie lag ja mit der Oma in einem Bett. Am nächsten Morgen winkte Hati mich in eine Ecke, wo keiner uns hören konnte, und schilderte mir die Details:
    »Ich hab ihn ganz genau gesehen. Er saß auf dem Stuhl in der Ecke. Babanne hat mit ihm geredet wie mit einem ganz normalen Menschen.«
    »Echt? Wie hat er denn ausgesehen?«
    »Ganz grau, und einen dunklen Anzug hatte er an.«
    »Hat er sich bewegt oder so was?«
    »Nein, er saß einfach nur da, ganz reglos und hat nichts gesagt.«
    »Also hat nur die Oma gesprochen?«
    »Genau.«
    »Bin ich froh, dass ich geschlafen habe.«
    Wir tuschelten noch lange darüber, wie es wohl wäre, wenn so ein Toter einmal auch uns erscheinen würde.
    »Ich würde sterben vor Angst.«
    »Ich auch.«
    Wir fanden es schon seltsam genug, dass sich solche Ereignisse in unserem Schlafzimmer zutrugen. Aber dann
durften wir auch noch nicht einmal darüber sprechen. Nie im Leben hätten wir uns getraut, Babanne diesbezüglich Fragen zu stellen. Ihr Kontakt zum

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