Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
»hindurchzuträumen«, wenn es geschlossen war. Wie oft hatte ich es schon versucht, doch ich konnte hinaufstarren, wie ich wollte: All die schönen Bilder wollten dann einfach nicht erscheinen. Das trieb mich fast zur Verzweiflung. Die Vorstellung, dass »es« nicht mehr kommen würde, erschien mir unerträglich. Also spielte ich die Brave, nur um zu warten, bis Großmutter außer Reichweite war. Dann machte
ich das Fenster wieder auf und träumte mich erneut hinaus. So ging das geraume Zeit. Mindestens zwei, drei Mal die Woche zelebrierte ich meine Sehnsuchtsstunde. Nichts und niemand konnte mich davon abhalten.
Seinerzeit war es für mich ein heimliches Spiel, bei dem ich Trost und Zuflucht fand. Sobald ich wie auf einem fliegenden Teppich in die Sphären der Imagination entschwebte, verschwanden alle Sorgen, alle Langeweile. Ich fühlte mich so leicht und frei, so geborgen und voller Zuversicht.
Es heißt ja, dass Kinder in einer magischen Welt leben, in der sich Fantasie und Realität vermischen. Aber dann, mit dem Eintritt in die Schule, wenn Wörter und Zahlen das Regiment im Kopf übernehmen, verkümmern Intuition und unverbildete mentale Kraft. Die Lehrer tun ihr Bestes, um die kleinen Träumer zur Vernunft zu erziehen. Ein Glück, dass sie es nicht immer ganz schaffen! Im Gehirn einiger Leute, zu denen ich offensichtlich auch gehöre, scheint eine magische Ecke übrig geblieben zu sein.
Wer sich die urmenschliche Begabung des beseelten Träumens und Wünschens nicht nehmen lässt, sondern sie zu entwickeln lernt, dessen Leben nimmt irgendwann eine Wendung zum Besseren. Oder bin ich verrückt, weil ich das glaube? Nun, ich habe mich nie sonderlich darum gekümmert, wenn ich in irgendeine Schublade gesteckt wurde. Mein ganzes Leben habe ich so gelebt, wie ich selbst es für richtig hielt. Und nie wäre ich dort angekommen, wo ich heute bin, wenn ich es nicht immer wieder geschafft hätte, aus Wünschen Wirklichkeit werden zu lassen. Aus purer Dankbarkeit dafür, dass dieser Teil meiner
Seele unversehrt geblieben ist, könnte ich in all meiner orientalischen Inbrunst spontan niederknien und den Boden küssen!
Ich habe mich wieder und wieder zu erinnern versucht, aber mir fällt beim besten Willen keine einzige Situation ein, in der Babanne mir echte mütterliche Gefühle entgegengebracht hätte. Das Äußerste an Zärtlichkeit, was sie mir geben konnte oder wollte, war, mir ab und zu übers Haar zu streichen. Aber selbst das tat sie, wie mir schien, ohne spürbare innere Beteiligung, fast mechanisch. Sehr oft habe ich mich danach gesehnt, auch einmal auf ihrem Schoß sitzen zu dürfen. Ein gelegentliches Wort des Lobes oder der Anerkennung hätte mir viel bedeutet, aber nichts dergleichen kam je über ihre Lippen. Dafür umso mehr Gegenteiliges. Die meiste Zeit aber beachtete sie mich einfach nicht. Manchmal fragte ich mich, ob ich für sie überhaupt existierte.
»Wie musst du dich gefühlt haben«, sympathisiert Hatice heute mit mir, wenn wir über früher reden.
Damals freilich war sie nicht meine Verbündete, sondern meine Rivalin um Omas Gunst. Ein Wettbewerb, in dem ich nur verlieren konnte! Dafür zahlte ich es ihr auf meine Weise heim. Eingesperrt in unser kleines Haus und den winzigen Hof, ohne jegliche Anregung von außen, eskalierten kleine Scharmützel manchmal zu regelrechten Zickenkriegen.
»Schau mal, was ich von der Oma bekommen habe!«
Hatice hielt mir eine wunderschöne alte Haarspange unter die Nase. Die hatte ihr die Oma bestimmt heimlich zugesteckt, damit ich nichts davon mitbekomme.
»Daran wirst du leider nicht mehr lange Freude haben!«
Wutentbrannt riss ich ihr das gute Stück aus der Hand und warf es in unser Plumpsklo.
Immer wieder bettelte sie mich an, die Schulaufgaben für sie zu erledigen:
»Du kannst das doch sowieso besser, mach das doch mal schnell für mich mit!«
Aber ich hatte keine Lust, die Dienerin zu spielen.
»Ich denk nicht dran, mach doch deinen Kram selber.«
Das ließ Hati nicht auf sich sitzen. Sofort lief sie zur Oma und jammerte herum.
»Babanne, Babanne! Ayşe schlägt mich, dieses gemeine Stück.«
Babanne eilte ihrem Liebling natürlich sofort zu Hilfe und gab mir eine saftige Ohrfeige.
»Willst du deine Schwester endlich in Ruhe lassen!«
Wie fies von Hati! Das durfte nicht ungestraft bleiben. Sie würde sich noch wundern. Am nächsten Tag wartete ich, bis wir in der Schule waren. In der großen Pause passte ich einen Moment ab, in dem
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