Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
bekam eine Serviette auf den Schoß. Ich habe mich damals, ehrlich gesagt, sehr überwinden müssen, auf diese Art und Weise zu essen. So aß doch niemand mehr, in der ganzen Nachbarschaft nicht! Konnten wir uns denn keinen richtigen Tisch und keine Stühle leisten? Aber unsere Oma war unbeugsam in diesen Dingen, eisern bestand sie darauf, dass in ihrem Haus die alten Bräuche gewahrt wurden. Für mich war das Essen auf dem Boden so unangenehm, dass mir gehörig der Appetit verging.
»Iǧne ipliǧe dönmek - Nadel und Faden wirst du noch werden.«
Das bedeutet so viel wie zu einem »Strich in der Landschaft« zu werden, und ich bekam es oft zu hören. Möglicherweise legte mein Widerwille, unter diesen Umständen zu essen, bereits den Grundstein für die Magersucht, die
mich im Teenageralter heimsuchen sollte. Vorerst aber passte sich das Ausmaß meines Appetits dem Verlauf der Jahreszeiten an. Im Sommer, wenn wir draußen am Tisch unsere Mahlzeiten einnahmen, legte ich immer zu, und im Winter, wenn wir drinnen auf dem Boden aßen, purzelten die Pfunde dann wieder. Ohnehin war in der warmen Jahreszeit alles viel schöner, eigentlich lebten wir dann den ganzen Tag draußen. Nachts durften wir sogar auf dem Sofa in der Laube schlafen.
Gern erinnere ich mich auch an den Sitzplatz im Garten hinter dem Haus. Was für ein Paradies dieser Garten war, und so groß, selbst für ländliche Verhältnisse! Im hinteren Teil, der eigentlich ein kleines Feld war, baute Oma mithilfe einiger Dörfler Weizen und Mais für ihre Fladenbrote an. Daneben, im Gemüsegarten, wuchsen leuchtend rote Fleischtomaten, schmackhafte Gurken, Zucchini und Paprika, viele Kräuter und Blumen. Natürlich hatten wir auch einen Stall mit sechs, sieben Hühnern. Das Pferd war nach Opa Alis Tod verkauft worden, sein Stall diente fortan als Abstellraum. Ganz hinten, vor dem Zaun zum Nachbarn, wuchs ein riesiger Feigenbaum. Obwohl es uns streng verboten war, hinaufzukraxeln, machten wir dort doch aufregende Kletterspiele.
»Ja, Cavidan, zu Hause ist eben zu Hause, und auch damals haben die Leute nicht schlecht gelebt!«
Endlich nahte der große Moment. Tagelang haben wir darauf hingearbeitet. Wir, das waren zwei neunjährige Mädchen. Wir wuchsen bei einer einsamen alten Frau auf, die nun in der Mitte ihres achten Lebensjahrzehnts stand. In einem von der Welt vergessenen türkischen Provinznest, einem »Erdhaus« ohne Radio und Fernsehen. Aber den Kopf voller Träume und gesegnet mit einer Kreativität, wie sie wohl nur Kinder entwickeln können, die aus wenig viel zu machen und mit heißem Herzen zu spielen verstehen.
Ausschlaggebend war ein deutscher Modekatalog, den die Nachbarstochter Leyla irgendwo aufgegabelt hatte und der bei uns liegengeblieben war. Den studierten wir, von vorn bis hinten, mit großen Augen und wachsender Begeisterung. Bis feststand: Wir machen unsere eigene Modenschau! Hatten wir nicht alles, was man dazu braucht? Eine Bühne mit Laufsteg: schnell gemacht, aus Linien, die man mit einem Stock in den Sand zieht und auf die man zur Markierung Steine und Äste legt. Schicke Kleider, nach unseren Entwürfen: kein Problem, angesichts gut gefüllter Resteschubladen der Mütter unserer Schulfreundinnen. Und dank der glänzenden Plastikfolie, die Baba eigentlich für die Renovierung des Gästezimmers vorgesehen hatte. Mannequins, die unsere Kreationen vorführten: all unsere Freundinnen natürlich. Eine Couturière, um die Kollektion zu entwerfen: niemand anders als meine Schwester Hati, die konnte schon immer gut zeichnen und basteln. Eine Coiffeuse für die Frisuren und eine Regisseurin der ganzen Veranstaltung: ich selbst, wer sonst! Denn im Versorgen der Haarpracht Babannes war ich ebenso Spitze wie darin, die Nachbarskinder nach meiner Pfeife tanzen zu lassen.
So werkelte, bastelte und schnibbelte die eine Gruppe mit Hati, was das Zeug hielt. Und unter meiner Führung übte die andere, sich zu bewegen, wie Manken, Mannequins, sich eben zu bewegen haben: in tänzelnden Schritten, mit eingezogenem Bauch, erhobenem Kopf und schwingenden Hüften …
Unmittelbar vor dem großen Ereignis verpasste ich meinen Mädels alle nur möglichen Frisuren (allerdings ohne ihnen die Haare zu schneiden, denn das hätte uns in die größten Schwierigkeiten gebracht): Zöpfe, Pferdeschwänze, Knoten, hochgesteckte Türme …
Dann ging es los! Unsere »Bühne« hatten wir vor die Wäscheleine in Babannes Garten gelegt, sodass wir mit
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