Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
meiner Schwester Cavidan in Frankfurt zu Besuch bin, blättern wir gern in alten Familienalben. Sie ergänzt ihre Fotosammlung, die bis in unsere Kindheit zurückreicht, ständig. Eine wahre Fundgrube der Erinnerungen! Als ich neulich bei ihr war, zog ein Farbfoto von unserem Haus in Susurluk meine Aufmerksamkeit auf sich.
»Schau dir das an, Cavidan. So haben wir gelebt!«
Unser Haus war eines der ältesten im Dorf und entsprach noch voll und ganz der traditionellen Bauweise: das Erdgeschoss aus getrockneten Lehmziegeln errichtet, mit
massiven Wänden und kleinen Fenstern. Nichts an diesen rauen, von der Witterung genarbten Wänden war wirklich gerade, aber der Eindruck der Baufälligkeit täuschte. Wuchtig und dick schienen diese Mauern förmlich aus dem Boden herauszuwachsen. Nicht von ungefähr sprachen wir auch von unserem »Erdhaus«. Im oberen Stockwerk waren die Wände deutlich dünner, aus einer einzigen Lage brauner Backsteinziegel gemauert. Oben konnte es im Winter ganz schön kalt werden, aber es gab dort ohnehin nur einen einzigen Raum: das Gästezimmer, das hauptsächlich von unseren Eltern genutzt wurde, wenn sie im Sommer zu Besuch kamen.
»Wenn man sich vorstellt, in welchen Verhältnissen Hati und ich groß geworden sind! Eng war es bei euch in Darmstadt ja auch, aber wir hatten nicht mal einen Holzfußboden oder Fliesen. Da war nur gestampfter Lehm, und darauf lagen diese bunten Teppiche, kreuz und quer übereinander.«
» Nuh-u Nebi’den kalma - wie aus den Zeiten des Propheten Noah übrig geblieben «, spöttelt Cavidan. »Ehrlich gesagt, fand ich Omas Haus immer ziemlich schäbig.«
Wie kann sie nur so abschätzig darüber sprechen! Doch ich beiße mir gerade noch rechtzeitig auf die Zunge. Bringt ja nichts! Und wenn ausgerechnet ich, die ich heute so viel Wert auf Wohnkultur lege, mich für die alte Bruchbude stark mache, dürfte eh klar sein, warum ich das tue: weil ausgerechnet ich gezwungen war, dort zu leben.
Und was bekamen wir zu hören, wenn wir es einmal wagten, auf den sichtbar steigenden Wohnkomfort unserer Nachbarn hinzuweisen?
» Aza kanaat etmeyen çoǧu bulamaz - wer sich mit wenig nicht begnügt, der kann auch nicht viel finden .«
Nun, in einem Haus aus Erde gewohnt zu haben, lässt mich die Annehmlichkeiten meiner heutigen Wohnung umso mehr schätzen!
Wer unser Grundstück von der Straße her betrat, musste zunächst ein großes, grünes Holztor öffnen, um in den halb überdachten Hof zu gelangen. Ein paar Schritte weiter rechts waren in der Außenwand des Häuschens die Türöffnungen zum Schlafwohnzimmer und zur Küche eingelassen. Ich sage Türöffnung und nicht Tür, denn außer im Winter waren keine Türblätter eingehängt. Ein wenig Schutz vor ungebetenen fliegenden Gästen boten leichte Vorhänge aus bunten Plastikstreifen.
Innen wehte einem stets ein leichter benzinartiger Geruch um die Nase. Und abends, wenn die Petroleumlampen angezündet wurden, stank es sogar wie an einer Tankstelle. Gut, Elektrizität für ein paar Glühbirnen gab es auch, aber die wurden nur im Ausnahmefall zur Benutzung freigegeben. Das funzelige Licht der Dochtlampen warf irre Schatten an die Wände, die sich ständig bewegten und veränderten, sodass wir als Kinder oft ein ziemlich gruseliges Gefühl hatten. Dann malten wir uns aus, was unsere Oma wohl so alles mit ihren Geistern anstellen könnte, wenn sie nur wollte …
Aber unsere Laube! Von Reben umrankt und überdacht, lag sie an der Stelle, wo der Hof sich zum Garten hin öffnete. Neben meinem Traumfenster war dies mein Lieblingsplatz. Definitiv die gemütlichste Ecke im ganzen Haus. Hier fand auch ein Großteil des Familienlebens statt. Die
Laube war, wenn es die Temperaturen erlaubten, unser eigentliches Wohnzimmer. An der Hauswand befand sich ein mit bunten Stoffen und Kissen bedeckter Diwan und davor ein schöner, großer Esstisch. Ein richtiger Tisch, und auch Stühle! Die waren das einzige Zugeständnis, das Babanne in ihrem Haus an die westliche Kultur machte. An Radio, an Fernsehen gar war für uns nicht zu denken. Nur unsere Eltern hatten in ihrem Zimmer einen TV-Apparat. Später gelang es mir immer öfter, mich hochzustehlen und dort heimlich fernzusehen.
Im Haus wurde auf dem Boden sitzend gegessen, ganz nach alter Sitte. Da knieten wir im Kreis auf dem Teppich, vor dem Sofra , dem traditionellen niedrigen »Tisch« des Orients. Daran war ein Halter für das Tablett befestigt, auf dem die Mahlzeit stand. Jeder
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