Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
Wäscheklammern einen Vorhang daran befestigen konnten. Das »Event« hatte sich in Windeseile herumgesprochen, und alle wollten dabei sein. Jedes Mal, wenn sich der Vorhang hob und eines unserer Manken den »Laufsteg« betrat, gab es prasselnden Beifall von mehreren Dutzend Kindern. Der kindlichen Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, das wurde hier wieder einmal bewiesen.
Tausendundeine Nacht - diesmal schon eine Nacht zu viel
Susurluk, Westtürkei, so ab 1977
J eden Sommer wird es sehr eng in unserem kleinen Haus. Meine Alamancılar , meine Deutschländer - das ist eure Zeit! Die kompletten hessischen Schulferien verbringt ihr bei uns und stellt unser Leben auf den Kopf. Ihr Eltern, Geschwister, unsere ganze Familie! Wochenlang habe ich euch, an meinem Fenster sitzend, entgegengefiebert.
Endlich ist es so weit. Der blaue Mercedes-Kleinbus mit dem hohen Dachgepäckträger rollt vor, vollgestopft mit Koffern, Paketen und Taschen, Zeitschriften und Spielzeug. Plötzlich hält das deutsche Konsumleben Einzug bei uns und erfüllte die Luft mit etwas, das ich für den Duft der großen weiten Welt halte. Was muss Deutschland für ein sagenhaftes Land sein! Wie modern meine Geschwister gekleidet sind! Und all die schönen Sachen, die Hati und ich auch dieses Mal geschenkt bekommen! Puppen und Minihäuser, Hüpfbälle, Kaufläden, Kochgeschirr, Malkreide und Bilderbücher. Seit es für die Eltern in Deutschland aufwärts geht, können wir uns über diese Art der Zuwendung wahrlich nicht beklagen. Für unsere Geschwister haben sie gewiss nie so viel Geld auf einmal ausgegeben. Ein Versuch der Wiedergutmachung?
Und dann jedes Mal der Schock, wenn die zwei fremden Welten aufeinanderprallen. Kaum ist die Woge freudiger Begrüßung verebbt, beginnen auch schon die Eifersüchteleien und Reibereien unter uns Geschwistern. Bei jeder Gelegenheit geben die Deutschländer uns zu verstehen, dass wir nicht zu ihnen gehören. Trotzdem schlafen sie mit der allergrößten Selbstverständlichkeit in unseren Betten!
Cavidan und Ali, die beiden nach uns Geborenen, verfügten über ein ideales Mittel, den Altersunterschied mehr als auszugleichen: Demonstrativ sprachen sie immer wieder deutsch miteinander. Sie konnten uns immer verstehen, wir aber hatten keine Möglichkeit, uns in ihre Gespräche einzuklinken.
Unsere Eltern bekamen von dem Gerangel kaum etwas mit. Oder taten sie nur so? Sie wohnten im Gästezimmer im oberen Stockwerk, vom Hof aus erreichbar über eine Außentreppe. Ihr Zimmer war das schönste im ganzen Haus.
»Immer das Beste für die Gäste!«
Viel interessanter als das Elternzimmer war oben jedoch die Vorratskammer. Dort verwahrte meine Mutter ihre wertvollsten Schätze. Alles, was ihr lieb und teuer war und was sie für später aufzuheben gedachte, wurde dort verstaut. Meine Eltern planten, im Alter wieder in die Türkei zurückzugehen, und dann wollten sie es gut haben. Mir gingen die Augen über, wenn ich die feinen Stoffe, die nagelneuen Möbel, das schneeweiße Geschirr mit Goldrand und das glänzende Besteck sehen durfte. Und jedes Jahr brachten sie weitere Kostbarkeiten mit!
Einmal, als meine Mutter allein in der Kammer herumkramte und ihre Sachen sortierte, versuchte ich mich ihr zu nähern.
»Darf ich bei dir im Bett schlafen, Mama? Bitte, bitte, nur ein einziges Mal!«
»Kommt gar nicht infrage. Keines der Kinder darf im Elternbett schlafen.«
Ihrem barschen Ton war deutlich anzumerken, dass die Sache damit ein für alle Mal erledigt war.
Mein Herz zog sich zusammen. Wie gern hätte ich, einmal nur, die Nähe meiner Mutter gespürt, ihre Haut gestreichelt oder an ihrem Haar gerochen. Aber keine Chance. Sie ließ mich nie an sich ran. Viele Jahre sollten vergehen, bis ich innerlich bereit war, für Mutters Verhalten Verständnis aufzubringen. Bis ich einsah, dass Distanzierung die einzige Möglichkeit für sie war, mit der Trennung klarzukommen. So nabelte sie uns ein zweites Mal ab, nämlich emotional. Als hätte sie uns zur Adoption freigegeben.
Dass sie ganz anders empfand, deutete sich für mich erstmals an, als ich zufällig ein Gespräch zwischen ihr und Babanne mitbekam. Ich dachte, ich höre nicht richtig, als sie von Großmutter verlangte:
»Ich meine, du solltest dich ein bisschen mehr um Ayşe kümmern. Sie macht mir ein bisschen Sorgen. Ich glaube, sie fühlt sich einsam.«
Babanne hat nie einen Hehl daraus gemacht, wer von uns Zwillingen ihr Liebling war. Alle wussten
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