Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
geschehen. Nach dem Abtrocknen durften wir Oma zwei dicke Zöpfe flechten und anschließend stets probieren, ob wir es schafften, ihr daraus den Dutt neu zu formen. Doch wir versagten immer! In ihren Augen bekamen wir es einfach nicht richtig hin. Da war sie sehr eigen, auf ihre Art eine absolute Perfektionistin. Sie beherrschte die notwendigen
Handgriffe aus dem Effeff - bei ihr ging es so rasend schnell, dass es uns nie gelang, ihr die Technik abzuschauen. Selbst heute, nach Jahrzehnten Praxis als Friseurin, wäre ich noch nicht in der Lage, einen so straffen, makellosen Dutt hinzubekommen.
Was unsere eigenen Frisuren betraf, bestand Großmutter erbarmungslos auf spartanischer Einfachheit. Alle paar Wochen durfte Hairiye Büyükhala , Großtante Hairiye, Arifes Schwester, sich an unseren Köpfen versuchen. Sie schnitt uns nicht nur Stufen, sondern ganze Wendeltreppen in die Schöpfe. Ratzfatz, und schon war es abgesäbelt. Je älter wir wurden, desto tiefer deprimierte uns die erzwungene Schur. Wenn wir von Tantchen zurückkamen, mochten wir tagelang nicht in den Spiegel schauen. Alle anderen Mädels im Ort durften ihr Haar lang tragen, sei es offen oder zu Zöpfen geflochten. Nebenbei gesagt: Damals trugen die Mädchen und jungen Frauen in der Türkei viel, viel seltener Kopftuch als heute. Mit dreizehn, vierzehn Jahren, als ich mir von der Oma nicht mehr so viel sagen ließ, ging ich erstmals zu einem Friseur. Oder was man dort so nannte.
Zwei, drei alte Küchenstühle vor halbblinden Wandspiegeln. Der süßliche Geruch von türkischem Eau de Cologne in der Luft. Kein Waschbecken. Als Arbeitsmittel eine übergroße Schere, so stumpf, dass jeder Schnitt die Haarwurzeln erzittern ließ. Und ein altersschwacher, kreischender Föhn. Hier war früher das Kinderzimmer der Familie gewesen, bevor die Frau des Hauses ihr Gewerbe eröffnete. Wahrscheinlich aus alter Gewohnheit stand da auch ein Wäscheständer mit Unterwäsche und Handtüchern. Na, immer noch besser, als in den zittrigen Händen
von Großtante Hairiye zu sein. Außerdem: Viel falsch machen konnte man bei mir nicht. Kurz geschnittenes Haar hatte für mich die Bedeutung von Eigenständigkeit und Nonkonformismus bekommen, und ich behielt es bei, bis ich wieder nach Deutschland kam. Vorher hätte ich nicht einmal sagen können, ob mein Haar von Natur aus glatt oder wellig ist.
Arife muss in ihrer Jugend eine sehr schöne Frau gewesen sein. Sie war groß, weiblich gebaut und hatte auch im Alter noch einen aufrechten, kraftvollen Körper. In ihren kohlschwarzen Augen brannte ein Feuer, das nicht nur uns Kindern größten Respekt einflößte.
Eigenwillig, wie sie war, trug sie nie die Standarduniform der konservativen Muslima - knöchellange Kaftans in betulichem Grau oder Braun -, sondern stets leuchtende, kontrastreiche Farben. Und grundsätzlich Selbstgenähtes: lange, lebhaft gemusterte Röcke und weitärmlige Blusen - oft schreiend bunt das alles, dabei aber doch aufeinander abgestimmt. Der Schnitt war immer derselbe, nur Stoff und Farbe variierten. Wir nannten Oma auch die »Eskimofrau«, weil wir in einer Illustrierten einmal Fotos der farbenfrohen, körperlangen Tracht vermeintlicher »Grönländerinnen« gesehen hatten.
Doch hätten wir uns niemals darüber lustig gemacht, obwohl die Leute über das ungewöhnliche Erscheinungsbild unserer Oma tuschelten. Es gehörte einfach zu ihr. Babanne war eben ein extremer Charakter, eine wirklich ungewöhnliche Frau.
Und, ja, sie hatte einen gewissen Hang zur Extravaganz.
Jeden Dienstag war Markt in Susurluk. Dort kauften wir
ein, und sonst nirgends. Anfangs, als Oma noch sehr rüstig war, bewältigten wir den langen Weg zu Fuß, auf dem Rückweg beladen mit den Vorräten für eine ganze Woche. In solchen Dingen war sie Madame Gnadenlos - sich selbst und uns gegenüber. Als sie jedoch zunehmend altersmüde und etwas milder wurde, kam sie auf eine andere Idee: Sie gab einem Nachbarn Geld dafür, dass er uns mit seinem At Arabası abholte. Dieses Fahrzeug nannten wir »unser Steinzeit-Taxi«: ein Pritschenwagen mit zwei Holzrädern, gezogen von einem Maultier. Auf dem Bock der Kutscher und die Oma. Hinten, auf der Pritsche, wir Mädels mit den vollen Einkaufstaschen. Diesen Luxus leistete sich niemand sonst in Susurluk. Für uns war es großartig! Wir fühlten uns wie zwei Prinzessinnen, die huldvoll die Grüße der Passanten entgegennahmen …
Das war unsere Oma. Babanne. Ahretanne .
Wenn ich heute bei
Weitere Kostenlose Bücher