Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
Röcke klingelten vor Freude , als ich den Gesellenbrief entgegennahm.
Da gab es also ein Mädchen, das den besten Teil seines Lebens noch vor sich hatte. Voller Neugier und Lebenslust, recht hübsch und nicht eben dumm. Nun gut, sie war auch etwas aufsässig. Kein Wunder bei dem familiären Hintergrund! Immerhin hatte sie einen Traum, der sie in die Freiheit und Unabhängigkeit führen sollte. Gemeinsam mit ihrer Schwester, die sie liebte und die mit ihr durch Dick und Dünn gehen würde.
Aber was tat sie? Sie folgte ihrer Abenteuerlust, ihrem Lebenshunger und ließ sich auf Menschen ein, die ihr nicht immer guttaten. Sie begann es zu lieben, am Abgrund zu wandeln. Zunächst bewegte sie sich dort mit traumwandlerischer Sicherheit. Doch unmerklich änderte sich das, und sie vermochte nicht mehr zu unterscheiden, wo der Boden unter ihren Füßen fest war und wo nicht.
Im freien Fall
Darmstadt und Hannover, im Jahr 1985/86
H e, Ayşe, lass uns die neue Achterbahn ausprobieren.
Ein Wahnsinnskick!«
Shandy und ich schlendern übers Darmstädter Volksfest. Ein Sommertag, wie er schöner nicht sein könnte. Ich ziehe mit den Zähnen einen Fetzen Zuckerwatte vom Stiel und lasse ihn auf der Zunge zergehen.
»Meinst du wirklich? Zu viel freier Fall für mich. Du weißt doch, wie ängstlich ich bin. Außerdem kommt einem da das Essen wieder hoch.«
»Ach was, das ist einfach nur geil. Komm, ich lad dich ein. Sei kein Spielverderber!«
Grummelnd willige ich ein.
»Na gut, ich werd’s überleben.«
Schon hat sie Karten besorgt. Die nächste Fahrt wird ausgerufen.
»Einsteigen, bitte!«
Die Wagen rollen vor, wir setzen uns vorn in die erste Dreierreihe, Shandy rechts von mir, ich in der Mitte. Sicherung anlegen! Ich habe ein wenig Mühe mit dem Bügel, da tönt es vom Sitz links neben mir:
»Darf ich Ihnen helfen, junge Frau?«
Den hatte ich gar nicht im Blick. Und dann diese altmodische
Anrede - ironisch gemeint, oder was? Irgendwie von oben herab. Ich drehe nur leicht den Kopf und luge aus den Augenwinkeln hinüber. Ein kurzer Blick reicht, um die plumpe Anmache vergessen zu machen. So gut gefällt mir dieser Typ.
»Ja gern, dieses verflixte Ding!«
Er schafft es, mir den Bügel anzulegen, ohne mich zu berühren. Obwohl ich dagegen eigentlich nichts gehabt hätte, versöhnt mich seine Zurückhaltung immerhin mit dem spröden Charme, den er bisher an den Tag gelegt hat.
»Und jetzt gut festhalten, es könnte steil werden.«
Wieder diese gönnerhafte, pseudoväterliche Art! Aber ich muss mich jetzt zusammenreißen, denn wir nehmen Fahrt auf. Es geht fast senkrecht nach oben. Am Gipfel angekommen, scheinen wir sekundenlang waagerecht in der Luft zu hängen … um dann wiederum fast senkrecht in die Tiefe zu rasen und auf halbem Wege einen Looping zu vollführen.
»Hiiilfe!!!«
Ich kreische vor Panik. Darauf hat der Passagier links neben mir wohl nur gewartet. Sofort legt er den Arm um mich.
»Keine Angst, ich bin ja bei dir.«
Über diese Beschützer-Nummer kann ich mir jetzt keine Gedanken machen. Denn erstens rollen wir auf den nächsten Abgrund zu, und zweitens benebelt eine sehr spezielle Duftmischung mein Gehirn. Im Unterbewusstsein registriere ich Zitrusdüfte, Patschuli … Und dann dieser Arm, der auf meiner Schulter liegt … Als harte Punklady werde ich hier wohl nicht mehr rauskommen …
»Hallo, ich bin Dragan. Und wie heißt du?«
»Ich bin Ayşe. War das eine Höllenfahrt. Das mach ich nie wieder!«
Shandy, Dragan und ich sind ausgestiegen und streben dem Ausgang zu.
»Ayşe … schöner Name«, säuselt mein neuer Begleiter. Und, offenbar um Völkerverständigung bemüht: »Du bist Türkin.«
Während ich ihn von der Seite anschiele und mich nixcool fühle, bleibt mein Blick an seinen vollen Lippen hängen.
»Ja, und du?«
Er schenkt mir ein charmantes Lausbubenlächeln, das strahlend weiße Zähne entblößt. Volle Leinwand, wie im Kino, und die Stimme in Dolby Surround:
»Ich bin Bosnier.«
Aha. Was für eine Info. Bei mir läuft das unter »Jugo«. Aber eine rasante Mischung, schießt es mir durch den Kopf. Oder durch den Bauch?
»Gibt’s doch nicht. Ein blonder Jugo?«
Na, meine selbstladende Revolverschnauze (ein Lieblingsausdruck meines Vaters, wenn er mich zum Gespräch unter vier Augen lud) funktioniert Gott sei Dank noch.
Aber jetzt schaut er mir in die Augen, dass mir die Knie weich werden. Und gibt seiner Stimme gespielten Ernst. Aha, er ist also
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