Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
mich, eine Atempause - mehr nicht. Das spürte ich jetzt schon.
Zurück aufs Schlafsofa! Susi hat es mir in ihrem Wohnzimmer liebevoll hergerichtet und ein Essen für mich vorbereitet. Am ersten Abend genieße ich einfach nur still meinen Triumph. Ich habe es meinen Eltern gezeigt. Ich werde mich niemals unterkriegen lassen!
Sollen sie sich ruhig mal Sorgen um mich machen.
Aber nach ein, zwei Tagen beginnt ein vages Unwohlsein an mir zu nagen. Ich habe Angst! Nachts bekomme ich kein Auge zu, wandere stundenlang im Zimmer auf und ab.
»Sie werden mich finden«, jammere ich Susi die Ohren voll, »sie telefonieren bestimmt alle meine Freunde ab.
Und deren Freunde und alle Bekannten. Wie ich meinen Vater kenne, wird er sich nicht scheuen, zu den Leuten nach Hause zu gehen und nachzuschauen, ob ich mich bei ihnen versteckt habe. Irgendwann wird er auch hier auftauchen.«
Susi sieht das recht gelassen, und sie hat ja recht. Außer meinem Freund weiß niemand, dass wir uns überhaupt kennen. Geschweige denn, wo Susi lebt. Ich aber finde keine innere Ruhe und Sicherheit mehr. Ich habe jetzt richtig, richtig Angst vor meinem Vater. Ich weiß: Wenn es um das geht, was er »die Ehre meiner Familie« nennt, dann versteht er keinen Spaß. Nachts bekomme ich Albträume. Eine Verfolgungsjagd nach der anderen spielt sich in meinem Hirn ab.
Bald halte ich es nicht mehr aus.
»Susi, bitte versteh mich. Ich fühle mich bei dir nicht sicher. Ich muss mir einen Platz suchen, zu dem mein Vater keinen Zutritt hat.«
Susi weiß Rat. Schon am nächsten Tag kommt sie mit Neuigkeiten von der Arbeit nach Hause.
»Ich habe mich schlau gemacht, zu dieser Adresse hier solltest du mal hingehen.«
Frauenhaus Hannover .
Einige Stunden später stehe ich vor der Tür. Schon in Darmstadt hatte ich mich im Frauenhaus beraten lassen. Sie waren sehr kooperativ, rieten mir, möglichst die Stadt zu verlassen. Sicher wird man mir auch hier helfen können.
Beherzt drücke ich die Klingel. Es dauert nicht lange, da erscheint eine Frau in der Tür.
»Was kann ich für Sie tun?«
Sie muss die Angst in meinen Augen gesehen haben, denn sie bittet mich sofort herein.
»Was ist denn passiert, um Himmels willen? Setzen Sie sich doch erst mal, ich bringe Ihnen gleich etwas zu trinken.«
Ihre Stimme klingt überraschend warm. Von so viel Liebenswürdigkeit entwaffnet, öffnen sich bei mir sofort alle Schleusen. Tränen kullern mir über die Wangen.
»Ich bin Türkin. Von zu Hause abgehauen«, berichte ich in abgehackten, von Schluchzern unterbrochenen Sätzen. »Meine Eltern suchen mich bestimmt schon überall. Kann ich bei Ihnen unterkommen?«
Die Frau hört mir ruhig zu. Ihrem verständnisvollen Nicken und ihren Rückfragen entnehme ich, dass türkische Familiendramen hier alles andere als ungewöhnlich sind. Es stellt sich heraus, dass sie die Leiterin des Hauses ist und alle nötigen Entscheidungen sofort und eigenständig treffen kann.
»Sie sind uns herzlich willkommen«, lauten schließlich ihre erlösenden Worte, »und Sie haben Glück, Ayşe. Zufällig ist heute ein Einzelzimmer frei geworden.«
Ich kann es kaum glauben.
»Ein eigenes Zimmer! Für mich ganz allein? Das hatte ich noch nie!«
Sie freut sich mit mir.
»Sehen Sie! Schon der erste Lichtblick. Sogar eine kleine Küche ist dabei.«
Als ich mittags meine Zahnbürste aus der Plastiktüte auf die Waschbeckenablage stelle, fühle ich mich nach dem
Chaos der letzten Wochen zum ersten Mal wieder sicher. Hier ist ein guter Platz für mich! In der Nacht kann ich nach langer Zeit endlich wieder einmal durchschlafen.
Guter Dinge rufe ich am nächsten Morgen meinen Liebsten an, um ihn zu beruhigen.
»Mach dir keine Sorgen, ich bin hier wirklich gut aufgehoben.«
Er klingt erleichtert. Auch er hat eine gute Nachricht.
»Meine Familie lädt dich in unser Ferienhaus an der Adria ein. Es ist schon alles besprochen. Du musst unbedingt nachkommen. Wir fahren morgen los und warten dort auf dich.«
Ferien mit Dragan! Ich bin ganz aus dem Häuschen.
»Das ist ja super, mein Schatz. Ich komme!«
Doch kaum habe ich aufgelegt, fällt mir siedendheiß etwas ein …
Oh nein! Allah, hilf mir! Ich habe ja keinen Pass! Ich komme doch gar nicht über die Grenze!
Wie konnte ich vergessen, dass ich das Dokument ja nicht an mich nehmen konnte, bevor ich mich aus dem Staub machte! In einer ordentlichen türkischen Familie bewahrt das Familienoberhaupt die Pässe all seiner Lieben auf. Möglichst in
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