Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
herumtreibst!«
Meine Mutter war außer sich, und mein Vater sah rot. So umgänglich er sonst war - wenn es um die Familienehre ging, verstand er keinen Spaß.
»Du bringst uns nichts als Schande ins Haus, du bist schon die Schande in Person! Was denkst du dir dabei, deine Familie dermaßen in Verruf zu bringen? Ich werde dich einsperren, wenn du dich noch ein einziges Mal mit diesem Typen triffst.«
Jetzt wurden andere Saiten aufgezogen. Tag für Tag hagelte es Drohungen und Beschimpfungen. Ich habe den
Verdacht, das eigentliche Problem für meine Eltern war, dass Dragan kein Türke war. Sonst hätten sie ihm Druck gemacht, dass er mich heiratete, und zwar auf der Stelle.
Ich befand mich in einer Zwickmühle. Dem deutschen Gesetz nach war ich volljährig und konnte tun, wie mir beliebte. Aber ich hatte die Moralvorstellungen meiner Eltern so verinnerlicht, dass ich mich dennoch schuldig fühlte. Dabei liebte ich Dragan mit allen Fasern meines Herzens. Ich wollte ihn , nur ihn, und je mehr man uns auseinanderbringen wollte, desto verzweifelter klammerten wir uns aneinander. Eines Morgens, nach einer leidenschaftlichen Nacht, sah ich keine andere Möglichkeit mehr:
»Ich werde meine Familie verlassen!«
Als wäre in mir ein Schalter umgelegt worden, begann ich selbstbestimmt zu handeln. Von einem Tag auf den anderen war ich fest entschlossen, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.
»Ich muss weg von hier, in eine andere Stadt. Das ist die einzige Möglichkeit, dem Druck meiner Eltern zu entgehen.«
Mein Liebster aber erschrak zutiefst über meine Entschlossenheit.
»Wo willst du denn hin, du gehörst doch zu mir.«
Er wollte nach wie vor, dass ich zu ihm zog. Aber selbst wenn seine Eltern mitgespielt hätten - für die meinen wäre das niemals infrage gekommen.
»Das geht doch nicht. Meine Eltern würden mich sofort bei dir finden und zu Hause einsperren. Aber ich habe schon eine Idee.«
Ein paar Wochen zuvor hatte ich durch eine Kollegin ein
Mädchen aus Hannover kennengelernt. Susi und ich waren uns sofort sympathisch. Gleich am ersten Abend hatte sie mich spontan eingeladen.
»Komm mich doch mal besuchen. Ich habe eine eigene Wohnung. Du könntest bei mir übernachten!«
Jetzt war die Gelegenheit gekommen. Als ich ihr am Telefon meine Situation erklärte, war sie sofort bereit, mir zu helfen.
»Klar kannst du zu mir kommen. Pack deine Sachen und fahr los.«
Innerlich jubelnd legte ich den Hörer auf. Jetzt konnte ich meine Flucht vorbereiten. Außer Dragan durfte niemand etwas von meinem Plan erfahren. Nicht einmal Hatice. Viel später, als wir wieder zueinander gefunden hatten, offenbarte sie mir:
»Dass du mich allein zurückgelassen hast, habe ich damals überhaupt nicht verstanden. Wir wollten uns doch eine gemeinsame Zukunft aufbauen.«
Recht hatte sie damit. Aber ich sah es überhaupt nicht so, dass ich unsere gemeinsamen Zukunftspläne aufkündigen wollte. So weit dachte ich gar nicht! Ich hatte mich schlicht und ergreifend bis über beide Ohren verliebt und war es endgültig leid, dass meine Eltern mir immer noch vorschrieben, wie ich zu leben hätte. Und auf gar keinen Fall wollte ich Hatice in meine Probleme hineinziehen. Wo sie doch kurz vor ihrer Gesellenprüfung stand. Also durfte auch sie nichts über meinen Verbleib wissen, schon damit unsere Eltern keinen Druck auf sie ausüben konnten.
An einem Vormittag, als alle bei der Arbeit waren, fuhr ich mit ein paar Plastiktüten voll Habseligkeiten zum Bahnhof
und setzte mich klopfenden Herzens in den Zug nach Hannover. Das Geld für die Fahrkarte hatte ich mir zusammengespart, indem ich ein paar Wochen lang konsequent mein Trinkgeld beiseitegelegt hatte.
Ich schaue auf die Uhr. Halb eins, Mittagessen. Daheim versammeln sich jetzt alle um den Tisch. Vater wird fragen, wo ich bin. Alle werden sich ratlos anschauen. Heute Abend, nach der Arbeit, wird Vater mich zu suchen beginnen - als Erstes natürlich bei Dragan. Aber der wird dichthalten - er hat es mir bei seinem Leben geschworen! Natürlich wird ihm niemand glauben, und wenn er noch so treuherzig versichert, er wisse nicht, wo ich bin.
In solchen Situationen stellt man sich die unmöglichsten Sachen vor: dass sie Dragans Telefon abhören und ihm die Polizei auf den Hals schicken. Ich muss mir immer wieder sagen: Ayşe, du bist volljährig. Niemand kann dir was. Du bist ein freier Mensch. Äußerlich frei, ja, das war ich jetzt. Aber innerlich? Es war ein Befreiungsschlag für
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