Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
eigentlich steht auch sie auf metaphysische Erkenntnisse.
»Das erste, was er sagte, war: ›Angesichts eures Schicksals muss man sich vor euch verneigen. Ihr beide habt sehr viel Schlimmes durchmachen müssen. Aber statt daran zu zerbrechen, seid ihr innerlich gewachsen. Ich zolle euch höchsten Respekt.‹ Und er hat sich tatsächlich vor uns verbeugt!«
»Mit Recht! Ihr habt von uns allen die schlechtesten Startbedingungen gehabt und dennoch etwas aus eurem Leben gemacht.«
Diese Anerkennung Cavidans tut gut. Auch Naime bläst jetzt ins selbe Horn.
»Das musste sogar unser Baba irgendwann einsehen. Erinnert ihr euch, wie begeistert er war, als ein deutsches Fernsehteam extra nach Istanbul kam, um ihn über seine beiden Ikizler , seine Zwillinge, zu interviewen?«
Ich gebe zu, es gibt mir immer ein warmes Gefühl, wenn jemand aus meiner Familie so etwas sagt. Das ist wie ein Ayurveda-Ölguss auf meine Seele!
Hatice kommt jetzt immer mehr aus sich heraus.
»Ja, er hat vor laufender Kamera gesagt, dass er stolz auf uns ist. Das war wie eine Wiedergutmachung für uns.«
Dem kann ich nur beipflichten.
Nun schaltet sich Cavidan ein. Sie ist offenbar mehr am Fortgang meiner Erzählung interessiert.
»Hat der Astrologe auch etwas über eure Zukunft gesagt?«
Bevor ich den Mund aufmachen kann, ergreift Hatice das Wort. Nun kommt sie erst richtig in Fahrt.
»Klar hat er das. Wir werden irgendwann einmal sehr berühmt und erfolgreich sein. Wir werden in die Geschichte eingehen!«
Alles lacht.
»Fragt sich nur, als was!«, wirft Naime mit ironischem Unterton ein, nicht ohne Hatice mit herausfordernden Blicken zu reizen, die Katze aus dem Sack zu lassen. Aber ich weiß nur zu gut, was kommen wird, wenn ich es jetzt laufen lasse. Ich zwinkere Hatice zu und hoffe, dass sie ihren Übermut zu zügeln vermag.
»Das verraten wir euch besser nicht, sonst würde es die Magie der Prophezeiung beeinträchtigen«, versuche ich die Situation zu retten. »Oder was meinst du, Hatice?«
Hati schaut mich dankbar an. Aha, wir verstehen uns.
»Stimmt. Wir sollten es noch nicht verraten. Ihr werdet es alle schon früh genug erfahren.«
Warum sollte ich ihnen auch auf die Nase binden, dass ich als Nächstes vorhabe, meine Lebensgeschichte zu veröffentlichen? Sie würden mich doch nur für größenwahnsinnig halten.
Wie gesagt, ich liebe es, von meiner Familie besucht zu werden. Aber genauso liebe ich es, wenn sie wieder weg sind. Aus meinem orientalischen Seelenteil fließt ein breiter Strom der Gastfreundschaft, aber als mitteleuropäischer Tatmensch sehne ich mich nach ein paar Tagen doch wieder danach, das rettende Ufer des beruflichen Alltags zu erreichen. Ich bin schlicht fix und fertig mit den Nerven, als sich die Sippschaft am Sonntagabend wieder auf den Rückweg nach Frankfurt macht. Schon eine seltsame Situation: immer dieses ausdauernde Winke-Winke, wenn ein Kleinbus, vollgepackt mit türkischer Verwandtschaft, davonzuckelt. Und wie sich die Bilder immer wieder gleichen - doch Ayşe weint nicht mehr, weil sie zurückbleibt, sondern sie empfindet ein warmes Gefühl gegenüber ihrer Familie.
Ich drehe mit meiner Hündin Billie noch eine Abendrunde und gehe in Gedanken das vergangene Wochenende durch. Meine Deutschländer! Wie lange es doch gedauert hat, bis wir eine gemeinsame Ebene fanden. Aber immerhin, wir haben es geschafft. Spontan bleibe ich stehen und schicke ein Gebet in den Himmel:
Liebes Universum,
ich danke Dir, dass Du es mir ermöglicht hast, Frieden mit
meiner Familie zu machen. Und danke auch, dass ich die Chance
bekommen habe, die zu werden, die ich heute bin.
Vor Kurzem habe ich in der Zeitung gelesen, dass Dankbarkeit glücklich macht. Darüber gab es sogar eine wissenschaftliche Untersuchung! Na, ich kann nur hoffen, dass das jetzt endlich auch diejenigen überzeugen wird, die immer
noch nicht selbst darauf gekommen sind. Ich jedenfalls habe ziemlich lange gebraucht, um zu verstehen, dass Dankbarkeit eine Fähigkeit ist und nicht einfach nur Ausdruck höflicher Manieren. Wie sonst wäre es möglich, dass es in Deutschland so viele wohlerzogene Menschen gibt, die allen Grund hätten, dankbar zu sein, weil das Leben sie gut behandelt - und die doch ständig missmutig und miesepetrig sind? Was mich betrifft: Ich habe lange geglaubt, allen Grund zu haben, nicht dankbar zu sein. Das Leben lieferte mir wahrlich Gelegenheit genug, das Schicksal anzuklagen. Doch irgendwann begriff ich:
Dankbarkeit ist
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