Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
Seite des Mannes: biederes Anhängsel oder stolze Hüterin des heimischen Herdes? So auch diesmal. Leichthin fällt am zweiten Abend die Bemerkung, Ayşe sei eine deutsche Karrierefrau geworden. Unausgesprochen, aber glasklar steht sie damit wieder einmal im Raum, die Frage:
»Wie stehst du zu deinen türkischen Wurzeln, Ayşe? Sind sie dir überhaupt noch etwas wert?«
Alle halten den Atem an. Und ich schnappe nach Luft wie ein Nichtschwimmer, den man ins Wasser geworfen hat. Jedes Mal rege ich mich über dieses Klischee auf. Ich kann da machen, was ich will. Tausendmal habe ich mir vorgenommen, in einer solchen Situation gelassen zu bleiben. Denn tausendmal habe ich es schon mitgemacht. Und werde es wohl noch tausendmal über mich ergehen lassen müssen. Ganz leicht nur muss dieser Knopf bei mir gedrückt werden - und schon bin ich in Verteidigungshaltung. Sogleich wechsle ich in die deutsche Sprache. Damit keiner denkt, ich hätte es nötig, auch nur einen einzigen Millimeter zurückzuweichen.
»Ich bin ausgesprochen stolz auf unsere Heimat.«
Schweigen. Gleichgültige Blicke. Haben sie mich wieder nicht verstanden? Aber halt, wie konnte ich nur vergessen: So zu tun als ob ist fester Bestandteil des orientalischen Maskenspiels. Da hilft nur eins: bedingungslose Offensive.
»Wenn ich mir erlauben darf: Im Gegensatz zu euch bin ich in der Türkei aufgewachsen. Und auch jetzt noch halte ich mich viel häufiger dort auf als ihr.«
Da senken sie ihre Blicke, als wollten sie das Muster auf dem Teppich nachzeichnen. Allerdings gibt es in meiner Wohnung keinen gemusterten Teppich. Nur Parkett. Jetzt heißt es nachsetzen!
»Und da habe ich auch mit den negativen Seiten unserer Kultur Bekanntschaft machen dürfen. Trotzdem bin ich stolz auf unsere Wurzeln. Dass ich mich für einen modernen, unabhängigen Lebensstil entschieden habe, hat damit nichts zu tun. Es ist meine ganz persönliche Entscheidung.«
Vertieftes Schweigen in der Runde. Die eine ist nicht zu überzeugen, die anderen wollen sich nicht die Zunge verbrennen. Doch ich mache keinen Hehl daraus: Ich lasse mich von niemandem mehr einengen, manipulieren oder bevormunden. Und heute, ja, heute ist mir danach, dass ich noch eins draufsetze.
»Und wer sagt überhaupt, dass man seine Wurzeln unbedingt zur Schau stellen muss?«
Ich weiß, türkische Menschen stehen auf blumige Vergleiche. Aber diesen hier habe ich mir nicht vorher überlegt. Er liegt mir einfach so auf der Zunge.
»Die Wurzeln eines Baumes sind ja auch unsichtbar. Genauso ist es mit der Verwurzelung eines Menschen. So etwas
kann man von außen nicht beurteilen! Ich will euch nur ein Beispiel nennen. Ihr Alamancılar beklagt euch doch so gern darüber, dass der Ramadan nicht mehr das ist, was er einmal war. Aber wisst ihr denn überhaupt, wie es dann zuging bei uns zu Hause, in Susurluk? Von uns allen haben dort doch nur Hatice und ich den echten Ramadan erlebt! Monatelang haben wir uns auf diese vier Wochen gefreut, nicht wahr, Hatice?«
Meine Zwillingsschwester hat meinen kleinen Vortrag mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt. Wenigstens bei ihr habe ich einen Nerv getroffen. Ohne zu zögern pflichtet sie mir bei:
»Ja, das war immer sehr aufregend. Mit sieben durften wir schon mitfasten, und die Rituale waren original so wie zu uralten Zeiten! Die großen Zeremonien kriegt man heute ja nur noch im Fernsehen mit.«
Naime und auch Cavidan sagen immer noch nichts. Können sie nicht, oder wollen sie nicht? Aber jetzt sind die Kinder neugierig geworden.
»Wie war das denn bei euch in Susurluk, Tante Ayşe? Erzähl uns von früher!«
»Das ist aber eine lange Geschichte. Wollt ihr sie wirklich hören?«
»Jaa!«
Diesem einhelligen Wunsch mögen ihre Mütter nichts entgegensetzen, obwohl es ihnen jetzt aus unterschiedlichen Gründen nicht ins Konzept passt. Ich kenne euch, meine Lieben! Was habt ihr euch eigentlich immer gedacht, wenn ihr wieder nach Deutschland zurückgefahren seid, am Ende der Sommerferien? Und uns zurückgelassen
habt, bei unserer alten Großmutter, am Familienstammsitz mit Plumpsklo?
Auf einmal kann ich die Situation richtig genießen.
»Na gut, Kinder. Dann setzt euch mal alle schön hin.«
Damit mache ich es mir bequem und lasse sie vor meinem inneren Auge aufsteigen, die Bilder von damals, in der fernen Heimat …
»Ayşe, lass das! Das ist nicht gottgefällig.«
Babannes Ton und Miene ließen keinen Widerspruch zu. Dabei hatte ich mich doch nur verzweifelt
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