Freiheit statt Kapitalismus
private Grundstoffunternehmen europaweit darauf setzten, in renditeträchtigere Produktionsbereiche zu expandieren, blieb die österreichische verstaatlichte Industrie durch diese Weichenstellung auf die Grundstoffproduktion fixiert. Spätestens in den siebziger Jahren waren dann Kohle und Stahl nicht mehr die »Kommandohöhen« der Wirtschaft, sondern der Kohlebergbau war weitgehend verschwunden und die europäischen Stahlfirmen schrieben ausnahmslos Verluste und waren unabhängig von ihrer Eigentumsform zu Bittstellern ihrer Regierungen geworden. Im Vergleich zu den meisten privaten europäischen Stahlherstellern schnitt die österreichische Stahlfirma VÖEST sogar noch vergleichsweise gut ab.
Zusammenfassend werden die Leistungen der österreichischen verstaatlichten Industrie in dem bereits zitierten Referat auf dem Symposium der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte wie folgt bewertet: »Den Verlusten dieser Periode sind die Leistungen des Wiederaufbaus gegenüberzustellen. Darüber hinaus ist in Erinnerung zu rufen, dass die verstaatlichte Industrie bis 1979 keine staatlichen Zuschüsse erhielt, sondern allein zwischen 1970 und 1981 ca. 112 Milliarden Schilling an Steuern und 4 Milliarden Schilling an Dividenden an den Staat abführte.« 173 Ferner sei den hohen Verlusten der Stahlindustrie die Entwicklung der ÖMV, eines großen staatlichen Mineralöl-, Erdgas- und Chemiekonzerns, mit ihren anhaltenden Gewinnen und hohen Dividendenzahlungen an den Staat gegenüberzustellen. Fraglich sei auch, ob große Stahlwerke wie das in Donawitz mit einem privaten Eigentümer die Jahre der Stahlkrise überhaupt überlebt hätten. 174
Dennoch wurden auch in Österreich die Verluste der verstaatlichten Grundstoffindustrien als willkommener Anlass genutzt, den Staatssektor mit Beginn der achtziger Jahre durch Privatisierungen zu zerfleddern. Die Umkehr begann ausgerechnet mit dem Börsengang der ÖMV, dem über alle Jahre profitabelsten der österreichischen Staatsunternehmen.
Deutschland: Verfassungsansprüche und Realität
Auch der deutsche Staat war schon während der Weltwirtschaftskrise zum »Lazarett für wirtschaftlich schwache Unternehmen« geworden,wobei die Nazis einen Teil dieser Unternehmen bereits wieder an private Eigentümer übergaben. Insgesamt war der Bund 1959 an 478 Wirtschaftsbetrieben aller Art beteiligt, wobei knapp die Hälfte dieser Gesellschaften in sechs Bundeskonzernen zusammengeschlossen war. Die größten waren der Energiekonzern VEBA, zu dem auch die 1959 privatisierte Preussag gehörte, und die außer im Energiesektor im Bereich Chemie und Aluminium tätige Viag. Zu den bedeutendsten Industriebeteiligungen des Bundes gehörten die Kieler Howaldtswerke und die Howaldtswerke AG Hamburg. In Bundeseigentum befanden sich darüber hinaus die Bundespost, die Bundesbahn und die Lufthansa AG. Hinzu kamen das Volkswagenwerk, das sich im Besitz des Bundes und des Landes Niedersachsen befand, allerdings Anfang der sechziger Jahre teilprivatisiert wurde, und Anteile von Bund und Saarland an den Saarbergwerken.
Auch im Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit waren aufgrund der in den vorangegangenen Jahrzehnten erlebten Folgen privaten Profitstrebens gemeinwirtschaftliche Ideen verbreitet und außerordentlich populär. Hier spielte weniger die Frage einer aufgrund unzureichender privater Investitionstätigkeit zurückgebliebenen Wirtschaftsstruktur eine Rolle als das Problem wirtschaftlicher Macht. Aus der Erfahrung des Missbrauchs von Wirtschaftsmacht zur Beseitigung der Demokratie und zur Installierung der blutigen Nazidiktatur resultierte die verbreitete Auffassung, dass wirtschaftliche Machtbastionen in Zukunft nicht mehr privaten Eigentümern überlassen werden dürfen. So sprachen sich in einer Abstimmung der Arbeiter in sieben Schachtanlagen des Ruhrgebiets 92 Prozent für eine entschädigungslose Enteignung der Grubeneigentümer aus.
Dieser Zeitgeist der Jahre nach 1945 spiegelte sich sowohl in der Programmatik der SPD als auch in der der damals noch stark von der katholischen Soziallehre beeinflussten CDU wider. Die SPD forderte auf ihren Parteitagen von 1946 und 1947 die Sozialisierung von Bergbau, Schwerindustrie, Energiewirtschaft, Verkehrswesen, Versicherungs- und Bankwirtschaft sowie wirtschaftsdemokratische Maßnahmen in anderen Bereichen. Die CDU sprach sich mehrheitlich für eine »gemeinwirtschaftliche Ordnung« 175 und die Vergesellschaftung desBergbaus und der
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