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Freiheit statt Kapitalismus

Freiheit statt Kapitalismus

Titel: Freiheit statt Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sahra Wagenknecht
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Sechzigern waren die Gewinne so weit angewachsen, dass sie auch die Zinslastendeckten und die Public Corporations praktisch ohne Zuschüsse arbeiten konnten. In den siebziger Jahren eskalierten die Verluste, was wenig mit der öffentlichen Eigentumsform und sehr viel mit der allgemeinen Stahl- und Kohlekrise zu tun hatte, die europaweit nahezu alle Unternehmen dieser Branchen in Subventionsempfänger der öffentlichen Hand verwandelte. Ab Mitte der achtziger Jahre wurden die Public Corporations von Margaret Thatcher mit der Privatisierungsaxt zerschlagen oder – wie viele Kohlebergwerke – schlicht geschlossen.
    Italien: Der Staat als Konkursvermeider und Wiederaufbauhelfer
    Die italienischen Staatsunternehmen der Nachkriegszeit waren in zwei Holdinggesellschaften organisiert: dem Instituto per la Riconstruzione Industriale (IRI) und dem Ente Nazionale Hydrocarburi (ENI). Der ENI besaß seinen Schwerpunkt im Energiesektor. Das IRI war ein Gemischtwarenladen, der Firmen aus vollkommen unterschiedlichen Bereichen wie Bergwerke, Banken, Chemieindustrie und Bauwirtschaft kontrollierte. In der Eisen- und Stahlindustrie nahm der italienische Staat über das IRI damals eine führende Rolle ein. Hinzu kamen ausgedehnte Beteiligungen an Unternehmen des Motor- und Fahrzeugbaus, des Maschinenbaus, der elektronischen Ausrüstungen und des Schiffbaus.
    IRI und ENI waren Mutterholdings von Aktiengesellschaften, an denen der Staat in der Regel eine knappe Mehrheit der Anteile hielt. Sie selbst befanden sich vollständig in Staatsbesitz und unterlagen öffentlichem Recht. Ein Großteil der staatlichen Industriebeteiligungen in der Verwaltung des IRI beruhte allerdings nicht auf einem bewussten Akt der Sozialisierung, sondern war Nebenergebnis der noch unter der faschistischen Regierung vorgenommenen staatlichen Rettung strauchelnder Banken zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise. Mit den Banken waren auch deren industrielle Beteiligungen in Staatsbesitz übergegangen. 1936 wurde zur Verwaltung dieser Unternehmensanteile das IRI gegründet. Auch die meisten Unternehmen, die später verstaatlicht wurden, litten zu Beginn der Übernahme unter schweren Belastungen und waren extrem unrentabel. Die Verstaatlichung erfolgte in der Regel, um Entlassungen und Konkurse zu verhindern.
    1947 wurde ein Fondo Industria Meccanica (FIM) aufgelegt, um Firmen des verarbeitenden Gewerbes bei Investitionen in Rekonstruktion und Modernisierungen zu unterstützen. Der größte Teil dieser Mittel wurde niemals zurückgezahlt; die schwächsten Firmen wurden verstaatlicht. Dabei verfolgte der FIM zwei durchaus nicht widerspruchsfreie Ziele: Einerseits ging es um die Erhaltung von Arbeitsplätzen in einem Umfeld hoher Arbeitslosigkeit. Zugleich aber sollte die italienische Industrie neu aufgestellt und ihre rückständige Wirtschaftsstruktur modernisiert werden. Tatsächlich wurde mit den Stützungsgeldern und Verstaatlichungen erreicht, dass die Arbeitslosigkeit nicht weiter anstieg und viele Firmen, die ohne die Unterstützung die Nachkriegszeit sehr wahrscheinlich nicht überlebt hätten (Fiat, Finmeccania, Piaggio), wieder profitabel wurden.
    Sowohl die Firmen im IRI wie im ENI arbeiteten gewinnorientiert mit großen Freiräumen. Das IRI war aufgrund der schlechten Rentabilität der übernommenen Firmen zeitweise auf staatliche Subventionen angewiesen, in den meisten Jahren war die Gewinn- und Verlustrechnung jedoch ausgeglichen. Der ENI konnte sich eine Preissetzung erlauben, die beim Erdgas dem niedrigsten europäischen Preis entsprach und bei Benzin die internationalen Erdölkonzerne zwang, seinen ständigen Preisreduktionen an den italienischen Tankstellen zu folgen, und es arbeitete trotzdem in allen Jahren profitabel.
    Erst in den fünfziger Jahren begann die italienische Regierung, die Staatsholdings in eine systematische Industriepolitik einzubinden. Deren Ziele fasst der deutsche Finanzwissenschaftler und Soziologe Jürgen Backhaus wie folgt zusammen: 1. Übernahme von Risiken im Zusammenhang mit langfristigen Investitionsprojekten, die von den Privaten nicht getragen werden; 2. Beschaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen; 3. Inflationsbekämpfung durch Senkung der Preise für Vorprodukte; 4. Regionalpolitik vor allem zugunsten des unterentwickelten Mezzogiorno; sowie 5. Wachstumspolitik durch Aufbau wachstumsintensiver Industrien. 168 Ein Großteil dieser Ziele wurde erreicht.
    In den späten Sechzigern investierte das IRI schließlich in neue

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